Es zieht!

Nach dem letzten Graupelschauer am Sonntag (Ich mag das Wort) sind wir schon voll im Zürcher Vorfrühling: Am Sonntag klauen sie uns wieder eine Stunde Schlaf, befreundete Allergiker posten Frühlingsprosa wie «Birken sind Arschlöcher», der Böögg ist bald wieder Thema und rund um den Idaplatz blühen die Kirschen. Das Wetter macht schon auf April und am Sonntag bei unserem Gartenfest wars noch saukalt mit böigen Winden, Pinguinen und – eben –graupligen Schauern. Die konnten und das Fest nicht vermiesen, denn wir sind Zürcher: Knorrig und wetterfest. Uns bringt nichts um, ausser … Durchzug. (Damit meine ich nicht die Kundenzeitung der Zugerland Verkehrsbetriebe, sondern einen starken Luftzug in Innenräumen.)

Durchzug by Alistair MacRobert

Der schleichende Tod, wie ihn Schweizer fürchten ©Alistair MacRobert

Durchzug – und das wissen nur Schweizer, andere Länder haben nicht mal ein Wort dafür – Durchzug ist der sichere Tod. Während in Filmen bei Durchzug höchstens mal eine auf dem Tisch ausgebreitete Briefmarkensammlung durcheinandergewirbelt wird, hat der hinterhältige häusliche Luftstrom in unserem Land ganz andere Konsequenzen: Wenn es in einem normalerweise geschlossenen Raum zieht, stirbt der Schweizer auf der Stelle. Du kannst auf nem Berggipfel stehen, bei 140 Km/h Orkanböen, macht nix, aber Durchzug killt dich sofort. Das fängt an mit einem Ziehen im Genick und dann – ruckzuck – entweder ein grauslicher Tod, oder dann wird ein Fenster geschlossen.

Du kannst in der Sommerhitze einen Ventilator, mit dem man einen Airbus A380 in die Stratosphäre pusten könnte, permanent auf dich richten – zählt nicht. Aber eines steht fest: Durchzug zieht das sofortige Ableben nach sich, ausser man stellt ihn absichtlich selber her. Dann heisst er aber auch nicht mehr Durchzug, sondern Stosslüften und wurde sogar mal von einem Bundesrat empfohlen. In der nationalen Sterbestatistik findet sich Durchzug zwar auch ganz unten in der Liste nicht, aber das ist uns egal. Was wir wissen, das wissen wir. Nämlich. Und überhaupt.

Durchzug ist ein ähnliches urhelvetisches Phänomen mit plötzlicher Todesfolge wie das mit den Nieren: Wenn ich als Junge vor dem Fahrradfahren nicht jedesmal mein T-Shirt hinten in die Hose gestopft hätte, wäre ich blitzschnell an Nierenversagen gestorben. Hat mir meine Mutter versichert. Oben ohne aufs Velo war aber okay. Muss man nicht verstehen.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 27.03.2024)

Geburtstagskarte

Ich habe letztes Jahr meinen 60. Geburtstag gefeiert. Nichts Extravagantes, nur so ca. 400 Gäste auf einem Casino-Flussdampfer im Amazonas, Champagner, Kaviar, drei Bands, aussterbende Tiere vom Grill, Drogen, sexuelle Gefälligkeiten … habe ich Ihre Aufmerksamkeit? Okay, so wars nicht ganz. Mehr so nettes Essen im kleinen Kreis in einem richtig guten Restaurant. Und weil dieses Lokal ein Geheimtipp ist, bleibt es auch geheim. Es ist ein Lokal in dem das Personal keine Geburtstagsständchen singt, weil alle das hassen. Das Personal hasst es, das Geburtstagskind, die anderen Gäste, alle. Nur nicht der Vollpfosten von Freund, der das Ständchen bestellt hat, selber nicht mitsingt und stattdessen doof grinst. Das ist auch der, der sagt, er habe mich jünger in Erinnerung. Ja, das war ich mal.

Doofe Geburtstagskarten

Unvermeidlich: Doofe Geburtstagskarten

Viele nette Geburtstagskarten habe ich bekommen. Anders als ein Fussballspieler freue ich mich über Karten, auch wenn da so Blödsinn steht wie: «Legenden sterben nicht mit 27, sie werden 60». Das war irgendwie noch okay, obwohl ich das ungute Gefühl habe, ich hätte vor 33 Jahren das Sterben verpasst. Was aber sicher nicht geht ist «60 Jahre jung …» Dafuq! Ich wiederhole das gerne, weil’s so absurd ist: 60 Jahre JUNG! Das ist etwa gleich schlau wie «240 Kilo schlank». Ein Widerspruch in sich selbst, ähnlich dem Begriff «Wirtschaftsethik». Aber zurück zu den Karten. Neben lieben Wünschen waren auch Bosheiten wie «… ein gutes Alter, sich aus dem aktiven Geschlechtsleben zurückzuziehen und sich zum Alkoholiker umschulen zu lassen.» Die dazugelegte Flasche Bourbon hat die Bosheit fast wieder wettgemacht. Ich glaube, Geburtstagskarten sind nur deshalb so beliebt, weil die ersten solchen Karten, die man im Leben bekommen hat, oft mit Bargeld gefüttert waren. Ich habe übrigens ein allgemeines Geschenkverbot ausgesprochen. Nein, ich kam nicht in die Verlegenheit, deshalb einen Tesla zurückzuweisen. Die paar alkoholischen Getränke, die mir trotzdem überreicht wurden, werde ich kurzfristig der Vernichtung zuführen. Oder ist das richtige Wort «Verdauung»?

(Tagblatt der Stadt Zürich, 10.01.2024)

S’hät Schnee, Juhe!

Im Garten bei uns steht jetzt also ein Schneemann. Meine Tochter, eine der Mit-Erbauerinnen, korrigierte mich, dass das eine Schneefrau sei. Tatsächlich, das sehr gelungene Teil hat deutlich weibliche Attribute: Eine schlanke Taille zwischen der Basiskugel und der Oberkörperkugel, sowie zwei Ausbuchtungen im Oberkörper, die zwar nach plastischer Chirurgie aussehen, aber unverkennbar weiblich sind. Der modische Schal und der fröhliche Hut sind weitere Indizien. Trotzdem, wie kann ich sicher sein, dass sich die Schneeperson als Frau identifiziert? Kennt denn jemand die Pronomen von der Rübennase? Ist alles gar nicht mehr so leicht heute.

Die Schneefrau mit ihren Erbauerinnen

Beim ersten Schneeball, der den Baum über mir trifft (Saugoofe!) und mir Kopf und Kragen einschneebelt, kommt mir immer mein amerikanischer Freund John in den Sinn: Der hat damals nach einer Schneeballschlacht begeistert einen englischen Satz direkt auf Deutsch übersetzt: «Das war eine grosse Schniikugelkrieg!» Yeah!
Am Sonntag war Zürich voll das Winterwunderland, so mit blauem Himmel, verzuckerter Landschaft und knarrendem Schnee unter den Füssen. Wenn es solche Tage öfters gäbe, müsste Dani Leupi eine Kurtaxe einführen. Am Monte Diggelmann wurde geschlittelt; für viele Kinder war es das erste Mal. Direkt daneben haben andere Kinder gelernt, dass man Schnee-Engel nicht mit dem Gesicht nach unten macht und dass es bessere Orte gibt, als die Hundeversäuberungswiese. Die Zeitungen sind wieder voll mit Blechschäden und Oberschenkelhals-Frakturen, Autofahrende schaufeln was das Zeug hält und schaben mit Kreditkarten die Windschutzscheiben frei. Beim Abendspaziergang in der eisig klaren Nachtluft war da dieser Gluscht nach Fondue und Glühwein und nur das ferne Brummen der Pistenfahrzeuge hat gefehlt. Winter in Zürich kann schön sein, wenn er mal ein paar Tage bleibt.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 06.12.2023)

« … wie … »

Neulich im trendigen Altstetten: Ein grosser Tisch an der frischen Luft, neben mir zwei junge Erwachsene, beide mit Pronomen und Bargeld ausgestattet, unterhalten sich lautstark über die Gentrifizierung «ihres» Quartiers. Mich hat weder der Ostschweizer Dialekt der einen, noch der Berner Dialekt der anderen Person gestört. Auch der Umstand, dass beide eine Matcha Latte für 10 Franken von einer internationalen Getränkekette vor sich stehen hatten und über sterbende Quartierbeizen oder -Lädeli schnödeten, ging mir voll am Ellenbogen vorbei.

Was mich irritierte, war das «wie». Es kam in jedem Satz, den die beiden absonderten, mehrfach vor: « Ich finds wie denäbet, dass d’Stadt wie nüt macht.» Woher kommen die überzähligen «wie»? Ja, lesen Sie den Satz ruhig nochmal durch: Er käme hervorragend ohne die Wies aus. Die zwei redeten munter weiter und ich war fasziniert, dass beide denselben Sprachfehler hatten. Ein Einzelfall? Mitnichten. Im Tram, im Laden, an der Bar – überall dasselbe. Das «wie» ersetzt komplett und radikal alle anderen Füllwörter: Das Ostschweizer «en Art» oder das Berner «gäng» – alle ersetzt mit «wie». Irgend-wie (haha) tönt es in meinen Zürcher Ohren dümmlich. Unser Füllwort ist das «oder» am Ende jeden Satzes. Da hat ein «wie» nichts zu suchen. Ist das wieder so ein Blödsinn, der es über den grossen Teich geschafft hat, wie Halloween und Marshmallows? Das «wie» wird genau gleich angewendet wie das Füller-«like» im amerikanischen Englisch. In Hollywood werden Schauspielende in Dumpfbacken-Rollen mit ganz vielen «likes» in ihren Texten gestraft. Wer’s nicht glaubt, soll sich eine High-School-Komödie im Originalton zu Gemüte führen. Als Vater von Millenial- und Gen-Z-Töchtern bin ich besorgt. Ich hoffe nur, dass das nicht wie ansteckend ist.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 13.09.2023)

Erste Dekade

Zehn Jahre schreibe ich mehr oder weniger regelmässig launige Kolumnen für unser Verwöhnblatt. Über die Jahre habe ich so alle paar Monate aus dem Kreis der Leser*innen schaft mal Feedback erhalten. Jepp, mehr ist nicht drin. Das Spektrum reicht von freundlich-wohlwollend bis hin zum bedrohlichen «… Sie am liebsten in meine Wohnung zerren und endlos XXX.» (anonym). Offen verachtend war nur der Brief eines Musiklehrers von der Pfnüselküste. Keine Ahnung, wie er dort an die Zeitung gekommen ist, aber in seiner Fanpost hat er meine Familie seines tiefsten Mitgefühls versichert, dass sie mich ertragen müssen und mir gegenüber den Wunsch geäussert, dass «Leute wie Sie sich auflösen». Ich hoffe, ihm hat die handschriftliche Formulierung seiner Breaking-Bad-Fantasie gutgetan.

Vom Teenager bis zum alten Sack: Fünf Dekaden Messi

Zweimal wurden Kolumnen von der Chefredaktion abgelehnt: Die eine war ein politisches Meinungsstück zur Kampfjet-Beschaffung, die der damalige Chefredaktor wegen der Nähe zur Abstimmung nicht publiziert sehen wollte, die Andere war eine … vielleicht etwas drastische Schilderung meiner ersten Darmspiegelung. So wurden Sie von den Detail verschont, wie ich einen fäkalen Jackson Pollock in die Keramik gedonnert habe. Die beiden Kolumnen finden sich auf messiswelt.com.

Meine Webseite bietet auch lustige Statistiken: Interessant finde ich, dass seit ich den überragenden Führer der chinesischen Volksrepublik Xi Jinping in einem Nebensatz erwähnt habe, jeden Monat zehn Besucher*innen aus China auf meiner Webseite sind. Wohl arme Studierende, die hoffen, ihren Sozialkredit durch die Aufdeckung meiner subversiven Schreibe etwas zu verbessern.

Freude habe ich auch an den vielen Besucher*innen aus fernen Ländern wie Uganda, den Cook Islands oder Grönland. Es gibt wohl keinen Ort, an dem Tagblatt-Leser*innen nicht waren.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 21.06.2023)

R.I.P. CS

Eigentlich wollte ich einen launigen Rückblick auf 10 Jahre Tagblatt-Kolumnen schreiben, aber dann haben Besserverdienende ihre Bank in den Graben gefahren. Die arme Credit Suisse. Zum Glück musste das Roger Federer nicht mehr erleben – so als Aktiver und Gesponsorter, meine ich. Als FCZ-Fan, der einmal mehr das versprochene Fussballstadion zusammen mit der Grossbank den Bach runter gehen sieht, könnte ich Exorzist-mässig kotzen. Aber ich will realistisch bleiben und muss immerhin anerkennen, dass das Grossbanken-Business-Modell brillant ist: Gewinne werden privatisiert, Verluste werden sozialisiert. Und kaum einer muckt auf. Aber wenn Du als Privater deine Firma in den Ruin treibst und vorher noch eine Million abzügelst, kommst Du unweigerlich in den Knast. Wenn Banker die Firma an die Wand fahren, hilft der Staat und die Banker pochen selbst dann noch auf ihre Ansprüche auf Boni in Milliardenhöhe. Das ist ungeheuerlich. Das Selbstverständnis dieser Spezies ist für mich nicht nachvollziehbar.

Chöööläääää, Booooniiiii – ein lustiges Völkchen, diese Bänker.

Haben Sie den Verwaltungsrats-Präsidenten gesehen, wie der an der Pressekonferenz so schlumpfig in die Kamera gegrinst hat? Wie so der Typ im Vampirfilm, der gebissen worden ist, es aber vor seinen Freunden geheim hält. Und dann diese blutleere Ansprache, in der er keinerlei Verantwortung für das Desaster übernimmt. Was war das denn? Chat-GPT für die Business-Class? Ich bin für Drogentests bei Spitzenbankern. Wer mit seinen Handlungen ganze Volkswirtschaften über den Thomas Jordan schicken kann, der soll dabei mindestens einen klaren Kopf haben. In einer gerechten Welt müssten all die Boni-Empfänger, Krawatten- und Entscheidungsträger bis an ihr Lebensende im Steinbruch schuften. Die Nationalbank sollte die Portokasse plündern und den CS-Hauptsitz in ein Hochsicherheitsgefängnis für kriminelle Banker umbauen.

Für das noble Haus am Paradeplatz habe ich schon einige Vorschläge gehört: Aushöhlen, Stadion rein – passt wohl nicht ganz. Den Koch-Areal-Besetzern eine neue Bleibe bieten? Sähe sicher schmuck aus, so mit Transparenten «Zureich» oder «alles wird gut» an der Fassade, dazu ein satter Musikteppich, der aus den stattlichen Mauern wabert. Eine schöne Idee ist auch, den ehemaligen CS-Hauptsitz in Genossenschafts-Wohnungen umzubauen. «Zentral gelegen Acht-Zimmer-Wohnung mit eigenem Panzertüren-Safe, 1870/Mt.» Die Schlange für die Bewerbungen würde vermutlich zwei Mal ums Seebecken reichen. Ich favorisiere allerdings, dass ich das Gemäuer selber bewohne. Ich würde vermutlich sowas wie eine Generationen-WG machen, so mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aller Altersstufen, mit eigener Besenbeiz und Band-Übungskeller im gepanzerten Safe-Raum und einem SKA-Skimützen-Lismerraum.

Wo wir grade bei Erwachsenen sind, die sich merkwürdig verhalten: Der Bund hat zwar getan, was er tun musste, bei einem Institut, das zu gross zum Scheitern ist – aber war das wirklich die beste Lösung, die Credit Suisse zum M-Budget-Preis an die UBS zu verhökern und damit noch ein grösseres Monster zu erschaffen? Ich habe da so meine Zweifel. Immerhin hat die Stadt Zürich sofort reagiert und die Züri-Seck im Credit-Suisse-Farbgewand (blaue Schrift auf weissem Grund) ausgetauscht durch schöne Güselseck so voll in Blau mit weisser Schrift.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 29.03.2023 )

Fitte Festtage

Ich hab’s geschafft! Ich habe mein Vorweihnachtsgewicht gehalten. Irgendwie bin ich allen Völlereien und Guezlis aus dem Weg gegangen und habe höchstens eine supertiefe zweistellige Zahl Weihnachtsgebäck gemampft. Das Ziel war zwar Null, aber bei Zimtsternen bin ich affektlabil und die Anderen habe ich aus Höflichkeit gegessen. Ehrlich! Hey, wenn da auf so einem Guezli Dein Name steht und die charmante Bäckerin Deine Tochter ist, die Dir platzend vor Stolz das selbstgemachte Gebäck noch warm auf einer Serviette reicht, musst Du schon ein ziemlicher Kloakenwurm sein, um Nein zu sagen.

«Raus kommt es immer; die Öffnung ist entscheidend.» © Abigail Miller / Unsplash

Auch die grossen Fressorgien blieben aus. Wenn ich zurückdenke, was meine Oma damals veranstaltet hat. Das waren Kalorien- und Cholesterinbomben noch und nöcher. Meine Oma hat so gekocht, dass man meinen könnte, sie wollte, dass wir beide gleichzeitig sterben. Sie kannte keine Pronomen, aber sie war ein kreatives Kochgenie. Oh Mann! Damals hielten wir George Michael noch für hetero, die Swissair war kerngesund und neben dem Tisch sass Boris, unser Neufundländer-Labrador-Mischling, der sabberte während wir assen. Boris musste ich wie so einem Blackjack-Croupier im Casino meine leeren Hände zeigen, wenn ich fertig gegessen habe. Das ist lange her. Boris, George Michael und meine Grosseltern haben alle schon ein kleines Gärtlein auf dem Bauch.

Anstelle eines weiteren Festessens haben wir in Baden die neue Therme besucht, wo man zu sphärischer Musik von Boris Blank in eine Salzlösung steigen kann, die einen trägt wie das Wasser im Toten Meer. Das sieht so aus wie im Science-Fiction-Film der Raum, in dem Aliens Menschen in einem Substrat schwimmend züchten. Creepy. Der Nachmittag hat mit Familie und einem Happen Essen etwa den Gegenwert von zwei Kilo Rindsfilet gekostet. Das behalte ich mir als Option für nächstes Jahr. Jetzt kommt die Zeit der Partys. Hier ein Pro-Tipp: Wenn Du weisst, dass Du am Abend viel trinken musst, dann iss vorher eine Banane, eine Orange, und hundert Gramm Himbeeren. Das hilft zwar nicht, sieht aber hübscher aus, wenn es wieder rauskommt!

(Tagblatt der Stadt Zürich, 04.01.2023)

Bro!

Neulich an der Tramhaltestelle Bellevue: Zwei junge Frauen stellen sich neben mich und tratschen über einen Kerl. Ich werde dabei unfreiwillig Zeuge eines Gesprächs, wie es sonst vermutlich nur in Damentoiletten stattfindet. Die beiden sind typische GenZ-Vertreterinnen, beide tragen fluffiges Haar mit messerscharfem Mittelscheitel, borstige Augenbrauen, diesen Bella-Hadid-Edelpunk-Look und nennen sich gegenseitig «Bro». M-hm, ist so. Mir zieht’s schon die Ohrläppchen in den Gehörgang, wenn ich Kindergärtler höre, die sich gegenseitig «Alter» nennen, beim Bro zwischen Frauen muss ich ein kleines bisschen in meinen Mund erbrechen. Ausserdem haben beide diesen permanent empörten Gesichtsausdruck, den man als «Resting Bitch Face» kennt.

Verlegenheitsbild mit zwei Frauen als Motiv. (Ich will nicht darüber sprechen.) © Kinga Cickewicz

Aber zurück zum Gespräch, dessen williger Mithörer ich wurde: Der Kerl, über den sie redeten – Mitschüler? Mitarbeiter? Egal! – macht wohl alles falsch. «Dä gaht sicher nöd i d’Gym», was sogleich mit einem «genau, voll» quittiert wurde. Ausserdem trägt er die falschen Brands und seine Haare, vermuten die beiden, lässt er wohl in einem preisgünstigen Einwanderer-Salon machen. Diesmal ein beipflichtendes «voll, genau». Das Shaming geht weiter: Dass er sie anlächelt, wenn er im Vorbeigehen grüsst, finden beide «voll creepy». Ich denk mir, die arme Sau, will nur nett sein und wird in die Grusel-Ecke gestellt. Dann folgt der Todesstoss, der endgültige Diss, das härteste Urteil, das diese Generation fällen kann: «Dä hät sicher au am Abig no en volle Akku im Handy». Mich hats zerrissen. Ich habe geprustet wie ein Wasserbüffel, der in Birchermüesli ertrinkt. Nicht nur die beiden Frauen, auch andere Umstehende haben mich verständnislos angestarrt. Zum Glück hat mich die VBZ mit dem einfahrenden 9er Tram gerettet.

Hai uf Züri

Zürich ist in den Sommerferien einfach hinreissend. In diesen paar Wochen, wenn die Patina von Stress, Termindruck und Pendenzen bei allen weggespachtelt ist, und das Wetter so strahlt, präsentiert sich die Stadt wie ein riesiger Instagram-Feed: Alle sind gut drauf, keine Staus, Platz im ÖV, überall Parkplätze, entspanntes Personal in Büros, Beizen und Läden, niemand hat Stress. Im Lettenbadi-Café hat es für mich sogar einen freien Tisch am Nachmittag – die Welt ist schön.

Auch keine Bullenhaie?

Ein guter Moment, nachzusehen, ob auch meine Mitmenschen so gut drauf sind. Da sind zum Beispiel die zwei Jungs, die sich in der Bestell-Schlange fragen, ob sie noch ein Bier vertragen – das klassische Shakes-Bier Dilemma: «Sein, oder Dichtsein». Unten der Typ, der auf dem Tüechli sitzend in sein Smartfon starrt und sich dabei gedankenverloren am Knöchel kratzt. Vielleicht sollte ihm jemand sagen, dass diese Beton-artige Kruste, die sich um die Ferse zieht, waschbar ist. Dann fallen meine Augen auf zwei fröhlich tratschende Schwimmerinnen, die im gottgefälligen Ganzkörper-Badekleid limmatabwärts treiben. Es gibt immer was zu sehen: Die Influencerin mit der Ringlampe am anderen Flussufer. Teenager, die einer Badehose nachschwimmen. Die Szene bleibt jugendfrei: Der Verlierer hatte drunter noch Boxershorts an. Am Nebentisch entbrannte die Diskussion, was unterhaltsamer wäre: Krokodile oder Haie in der Limmat. Nachdem gegoogelt wurde, dass es offenbar Süsswasser-Bullenhaie gibt – «höhö, Bullen haben wir genug, nur die Haie fehlen noch» – haben die Haie gewonnen. Dabei hiess doch der städtische Design-Güselchübel «Züri-Hai». Wiedemauchsei, Sommerferien in Zürich sind ein Riesenspass – wenn man es sich leisten kann.

(Tagblatt der Stadt Zürich 20.07.2022)

Glo-Pro

Neulich habe ich im Tagi gelesen, dass man sich überlege, das bröckelnde Globus-Provisorium beim HB zu erhalten. Der Bau sei «architektonisch, städtebaulich, aber auch sozialgeschichtlich durchaus relevant». Was?! Dieser krude Klotz, der in der gründerzeitlichen Architektur rund um den Bahnhofplatz aussieht, wie ein Tiefseefisch in einer Singvogel-Volière, soll architektonischen Wert besitzen? Bloss, weil es am Wasser ist, ist es noch längst nicht das «Falling Waters» von Zürich. Für mich sieht gute Architektur anders aus.

So sieht das aus: Tiefseefisch in einer Singvogelvolière.

Das Gehütt wurde garantiert nicht vom Globus-Architekten gestaltet, der war viel zu beschäftigt mit dem Entwerfen des Warenhauses, sondern von dessen Lehrling und der hat Zürich gehasst. Ein Basler, womöglich? Jedenfalls ein Superschurke, dessen übles Werk ihn nach 61 Jahren wohl schon überlebt hat. Provisorium? Meine Fresse! In Zürich gab es stattliche Wohnhäuser und Gewerbebauten, die nicht so langlebig waren. Wenn es wirklich instand gestellt werden soll, dann bitte im Spreitenbacher Industriequartier, aber nicht an einem Ort, der touristisch so wertvoll ist, wie das Papierwerd-Areal. Jeder Reisende, der nach Zürich kommt, und am Bahnhofquai ins Tageslicht tritt, sieht als erstes nicht die Altstadt oder die Limmat, sondern diese städtebauliche Abomination, diesen Lebensmittel-Bunker desselben Grossverteilers, der dieser Stadt schon einen brutalistischen, fensterlosen 118-Meter-Getreide-Silo beschert hat. Ich wittere eine Basler Verschwörung: Coop (Hauptsitz in Basel) versucht mit allen Mitteln das Zürcher Stadtbild zu ruinieren. Die beiden grössten Schandflecke in Zürich tragen den Coop-Schriftzug.

Gebauter Brechreiz: Das Globus-Provisorium Bild: Marco Zanoli

Mal ehrlich: Das Globus-Provisorium sieht aus, als hätte man nach dem Krieg eine ausgebombte Ruine so schnell als möglich mit einem funktionalen Plattenbau ersetzen wollen. Reisende aus Osteuropa, die solche Anblicke gewohnt sind, fühlen sich natürlich sofort heimisch. Das kann doch nicht das Ziel sein. Würde man diese trostlose Doppelturnhalle in den Weltraum schiessen, und Ausserirdische würden sie finden, nähmen die das zweifellos als Akt der Aggression wahr. Der Bau sieht so aus, wie Grippe sich anfühlt: Sehr, sehr übel. Jedes Mal, wenn ich mit dem Tram das Limmatquai runter oder vom Central Richtung HB fahre und den groben Klotz sehe, erbreche ich ein kleines Bisschen in meinen Mund. Hat der Bau Charakter? Wenn ja, dann einen besonders schlechten. Wäre es ein Lebewesen, nicht einmal seine eigene Mutter hätte es lieb. Wenn diese Zombie-Festung wirklich der Nachwelt erhalten bleiben soll, dann von mir aus in einem finsteren Winkel im Freilichtmuseum Ballenberg, aber nicht im Zentrum meiner Stadt.

(Tagblatt der Stadt Zürich 27.04.2022)