R.I.P. CS

Eigentlich wollte ich einen launigen Rückblick auf 10 Jahre Tagblatt-Kolumnen schreiben, aber dann haben Besserverdienende ihre Bank in den Graben gefahren. Die arme Credit Suisse. Zum Glück musste das Roger Federer nicht mehr erleben – so als Aktiver und Gesponsorter, meine ich. Als FCZ-Fan, der einmal mehr das versprochene Fussballstadion zusammen mit der Grossbank den Bach runter gehen sieht, könnte ich Exorzist-mässig kotzen. Aber ich will realistisch bleiben und muss immerhin anerkennen, dass das Grossbanken-Business-Modell brillant ist: Gewinne werden privatisiert, Verluste werden sozialisiert. Und kaum einer muckt auf. Aber wenn Du als Privater deine Firma in den Ruin treibst und vorher noch eine Million abzügelst, kommst Du unweigerlich in den Knast. Wenn Banker die Firma an die Wand fahren, hilft der Staat und die Banker pochen selbst dann noch auf ihre Ansprüche auf Boni in Milliardenhöhe. Das ist ungeheuerlich. Das Selbstverständnis dieser Spezies ist für mich nicht nachvollziehbar.

Chöööläääää, Booooniiiii – ein lustiges Völkchen, diese Bänker.

Haben Sie den Verwaltungsrats-Präsidenten gesehen, wie der an der Pressekonferenz so schlumpfig in die Kamera gegrinst hat? Wie so der Typ im Vampirfilm, der gebissen worden ist, es aber vor seinen Freunden geheim hält. Und dann diese blutleere Ansprache, in der er keinerlei Verantwortung für das Desaster übernimmt. Was war das denn? Chat-GPT für die Business-Class? Ich bin für Drogentests bei Spitzenbankern. Wer mit seinen Handlungen ganze Volkswirtschaften über den Thomas Jordan schicken kann, der soll dabei mindestens einen klaren Kopf haben. In einer gerechten Welt müssten all die Boni-Empfänger, Krawatten- und Entscheidungsträger bis an ihr Lebensende im Steinbruch schuften. Die Nationalbank sollte die Portokasse plündern und den CS-Hauptsitz in ein Hochsicherheitsgefängnis für kriminelle Banker umbauen.

Für das noble Haus am Paradeplatz habe ich schon einige Vorschläge gehört: Aushöhlen, Stadion rein – passt wohl nicht ganz. Den Koch-Areal-Besetzern eine neue Bleibe bieten? Sähe sicher schmuck aus, so mit Transparenten «Zureich» oder «alles wird gut» an der Fassade, dazu ein satter Musikteppich, der aus den stattlichen Mauern wabert. Eine schöne Idee ist auch, den ehemaligen CS-Hauptsitz in Genossenschafts-Wohnungen umzubauen. «Zentral gelegen Acht-Zimmer-Wohnung mit eigenem Panzertüren-Safe, 1870/Mt.» Die Schlange für die Bewerbungen würde vermutlich zwei Mal ums Seebecken reichen. Ich favorisiere allerdings, dass ich das Gemäuer selber bewohne. Ich würde vermutlich sowas wie eine Generationen-WG machen, so mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aller Altersstufen, mit eigener Besenbeiz und Band-Übungskeller im gepanzerten Safe-Raum und einem SKA-Skimützen-Lismerraum.

Wo wir grade bei Erwachsenen sind, die sich merkwürdig verhalten: Der Bund hat zwar getan, was er tun musste, bei einem Institut, das zu gross zum Scheitern ist – aber war das wirklich die beste Lösung, die Credit Suisse zum M-Budget-Preis an die UBS zu verhökern und damit noch ein grösseres Monster zu erschaffen? Ich habe da so meine Zweifel. Immerhin hat die Stadt Zürich sofort reagiert und die Züri-Seck im Credit-Suisse-Farbgewand (blaue Schrift auf weissem Grund) ausgetauscht durch schöne Güselseck so voll in Blau mit weisser Schrift.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 29.03.2023 )

Fitte Festtage

Ich hab’s geschafft! Ich habe mein Vorweihnachtsgewicht gehalten. Irgendwie bin ich allen Völlereien und Guezlis aus dem Weg gegangen und habe höchstens eine supertiefe zweistellige Zahl Weihnachtsgebäck gemampft. Das Ziel war zwar Null, aber bei Zimtsternen bin ich affektlabil und die Anderen habe ich aus Höflichkeit gegessen. Ehrlich! Hey, wenn da auf so einem Guezli Dein Name steht und die charmante Bäckerin Deine Tochter ist, die Dir platzend vor Stolz das selbstgemachte Gebäck noch warm auf einer Serviette reicht, musst Du schon ein ziemlicher Kloakenwurm sein, um Nein zu sagen.

«Raus kommt es immer; die Öffnung ist entscheidend.» © Abigail Miller / Unsplash

Auch die grossen Fressorgien blieben aus. Wenn ich zurückdenke, was meine Oma damals veranstaltet hat. Das waren Kalorien- und Cholesterinbomben noch und nöcher. Meine Oma hat so gekocht, dass man meinen könnte, sie wollte, dass wir beide gleichzeitig sterben. Sie kannte keine Pronomen, aber sie war ein kreatives Kochgenie. Oh Mann! Damals hielten wir George Michael noch für hetero, die Swissair war kerngesund und neben dem Tisch sass Boris, unser Neufundländer-Labrador-Mischling, der sabberte während wir assen. Boris musste ich wie so einem Blackjack-Croupier im Casino meine leeren Hände zeigen, wenn ich fertig gegessen habe. Das ist lange her. Boris, George Michael und meine Grosseltern haben alle schon ein kleines Gärtlein auf dem Bauch.

Anstelle eines weiteren Festessens haben wir in Baden die neue Therme besucht, wo man zu sphärischer Musik von Boris Blank in eine Salzlösung steigen kann, die einen trägt wie das Wasser im Toten Meer. Das sieht so aus wie im Science-Fiction-Film der Raum, in dem Aliens Menschen in einem Substrat schwimmend züchten. Creepy. Der Nachmittag hat mit Familie und einem Happen Essen etwa den Gegenwert von zwei Kilo Rindsfilet gekostet. Das behalte ich mir als Option für nächstes Jahr. Jetzt kommt die Zeit der Partys. Hier ein Pro-Tipp: Wenn Du weisst, dass Du am Abend viel trinken musst, dann iss vorher eine Banane, eine Orange, und hundert Gramm Himbeeren. Das hilft zwar nicht, sieht aber hübscher aus, wenn es wieder rauskommt!

(Tagblatt der Stadt Zürich, 04.01.2023)

Bro!

Neulich an der Tramhaltestelle Bellevue: Zwei junge Frauen stellen sich neben mich und tratschen über einen Kerl. Ich werde dabei unfreiwillig Zeuge eines Gesprächs, wie es sonst vermutlich nur in Damentoiletten stattfindet. Die beiden sind typische GenZ-Vertreterinnen, beide tragen fluffiges Haar mit messerscharfem Mittelscheitel, borstige Augenbrauen, diesen Bella-Hadid-Edelpunk-Look und nennen sich gegenseitig «Bro». M-hm, ist so. Mir zieht’s schon die Ohrläppchen in den Gehörgang, wenn ich Kindergärtler höre, die sich gegenseitig «Alter» nennen, beim Bro zwischen Frauen muss ich ein kleines bisschen in meinen Mund erbrechen. Ausserdem haben beide diesen permanent empörten Gesichtsausdruck, den man als «Resting Bitch Face» kennt.

Verlegenheitsbild mit zwei Frauen als Motiv. (Ich will nicht darüber sprechen.) © Kinga Cickewicz

Aber zurück zum Gespräch, dessen williger Mithörer ich wurde: Der Kerl, über den sie redeten – Mitschüler? Mitarbeiter? Egal! – macht wohl alles falsch. «Dä gaht sicher nöd i d’Gym», was sogleich mit einem «genau, voll» quittiert wurde. Ausserdem trägt er die falschen Brands und seine Haare, vermuten die beiden, lässt er wohl in einem preisgünstigen Einwanderer-Salon machen. Diesmal ein beipflichtendes «voll, genau». Das Shaming geht weiter: Dass er sie anlächelt, wenn er im Vorbeigehen grüsst, finden beide «voll creepy». Ich denk mir, die arme Sau, will nur nett sein und wird in die Grusel-Ecke gestellt. Dann folgt der Todesstoss, der endgültige Diss, das härteste Urteil, das diese Generation fällen kann: «Dä hät sicher au am Abig no en volle Akku im Handy». Mich hats zerrissen. Ich habe geprustet wie ein Wasserbüffel, der in Birchermüesli ertrinkt. Nicht nur die beiden Frauen, auch andere Umstehende haben mich verständnislos angestarrt. Zum Glück hat mich die VBZ mit dem einfahrenden 9er Tram gerettet.

Hai uf Züri

Zürich ist in den Sommerferien einfach hinreissend. In diesen paar Wochen, wenn die Patina von Stress, Termindruck und Pendenzen bei allen weggespachtelt ist, und das Wetter so strahlt, präsentiert sich die Stadt wie ein riesiger Instagram-Feed: Alle sind gut drauf, keine Staus, Platz im ÖV, überall Parkplätze, entspanntes Personal in Büros, Beizen und Läden, niemand hat Stress. Im Lettenbadi-Café hat es für mich sogar einen freien Tisch am Nachmittag – die Welt ist schön.

Auch keine Bullenhaie?

Ein guter Moment, nachzusehen, ob auch meine Mitmenschen so gut drauf sind. Da sind zum Beispiel die zwei Jungs, die sich in der Bestell-Schlange fragen, ob sie noch ein Bier vertragen – das klassische Shakes-Bier Dilemma: «Sein, oder Dichtsein». Unten der Typ, der auf dem Tüechli sitzend in sein Smartfon starrt und sich dabei gedankenverloren am Knöchel kratzt. Vielleicht sollte ihm jemand sagen, dass diese Beton-artige Kruste, die sich um die Ferse zieht, waschbar ist. Dann fallen meine Augen auf zwei fröhlich tratschende Schwimmerinnen, die im gottgefälligen Ganzkörper-Badekleid limmatabwärts treiben. Es gibt immer was zu sehen: Die Influencerin mit der Ringlampe am anderen Flussufer. Teenager, die einer Badehose nachschwimmen. Die Szene bleibt jugendfrei: Der Verlierer hatte drunter noch Boxershorts an. Am Nebentisch entbrannte die Diskussion, was unterhaltsamer wäre: Krokodile oder Haie in der Limmat. Nachdem gegoogelt wurde, dass es offenbar Süsswasser-Bullenhaie gibt – «höhö, Bullen haben wir genug, nur die Haie fehlen noch» – haben die Haie gewonnen. Dabei hiess doch der städtische Design-Güselchübel «Züri-Hai». Wiedemauchsei, Sommerferien in Zürich sind ein Riesenspass – wenn man es sich leisten kann.

(Tagblatt der Stadt Zürich 20.07.2022)

Glo-Pro

Neulich habe ich im Tagi gelesen, dass man sich überlege, das bröckelnde Globus-Provisorium beim HB zu erhalten. Der Bau sei «architektonisch, städtebaulich, aber auch sozialgeschichtlich durchaus relevant». Was?! Dieser krude Klotz, der in der gründerzeitlichen Architektur rund um den Bahnhofplatz aussieht, wie ein Tiefseefisch in einer Singvogel-Volière, soll architektonischen Wert besitzen? Bloss, weil es am Wasser ist, ist es noch längst nicht das «Falling Waters» von Zürich. Für mich sieht gute Architektur anders aus.

So sieht das aus: Tiefseefisch in einer Singvogelvolière.

Das Gehütt wurde garantiert nicht vom Globus-Architekten gestaltet, der war viel zu beschäftigt mit dem Entwerfen des Warenhauses, sondern von dessen Lehrling und der hat Zürich gehasst. Ein Basler, womöglich? Jedenfalls ein Superschurke, dessen übles Werk ihn nach 61 Jahren wohl schon überlebt hat. Provisorium? Meine Fresse! In Zürich gab es stattliche Wohnhäuser und Gewerbebauten, die nicht so langlebig waren. Wenn es wirklich instand gestellt werden soll, dann bitte im Spreitenbacher Industriequartier, aber nicht an einem Ort, der touristisch so wertvoll ist, wie das Papierwerd-Areal. Jeder Reisende, der nach Zürich kommt, und am Bahnhofquai ins Tageslicht tritt, sieht als erstes nicht die Altstadt oder die Limmat, sondern diese städtebauliche Abomination, diesen Lebensmittel-Bunker desselben Grossverteilers, der dieser Stadt schon einen brutalistischen, fensterlosen 118-Meter-Getreide-Silo beschert hat. Ich wittere eine Basler Verschwörung: Coop (Hauptsitz in Basel) versucht mit allen Mitteln das Zürcher Stadtbild zu ruinieren. Die beiden grössten Schandflecke in Zürich tragen den Coop-Schriftzug.

Gebauter Brechreiz: Das Globus-Provisorium Bild: Marco Zanoli

Mal ehrlich: Das Globus-Provisorium sieht aus, als hätte man nach dem Krieg eine ausgebombte Ruine so schnell als möglich mit einem funktionalen Plattenbau ersetzen wollen. Reisende aus Osteuropa, die solche Anblicke gewohnt sind, fühlen sich natürlich sofort heimisch. Das kann doch nicht das Ziel sein. Würde man diese trostlose Doppelturnhalle in den Weltraum schiessen, und Ausserirdische würden sie finden, nähmen die das zweifellos als Akt der Aggression wahr. Der Bau sieht so aus, wie Grippe sich anfühlt: Sehr, sehr übel. Jedes Mal, wenn ich mit dem Tram das Limmatquai runter oder vom Central Richtung HB fahre und den groben Klotz sehe, erbreche ich ein kleines Bisschen in meinen Mund. Hat der Bau Charakter? Wenn ja, dann einen besonders schlechten. Wäre es ein Lebewesen, nicht einmal seine eigene Mutter hätte es lieb. Wenn diese Zombie-Festung wirklich der Nachwelt erhalten bleiben soll, dann von mir aus in einem finsteren Winkel im Freilichtmuseum Ballenberg, aber nicht im Zentrum meiner Stadt.

(Tagblatt der Stadt Zürich 27.04.2022)

Zum Weinen

Im Moment nerve ich meine Freunde und Bekannten mit der Behauptung, das ganze Brimborium um Wein gäbe es nicht, wenn das Zeug nicht betrunken machen würde. Weinliteratur füllt ganze Bibliotheken, es gibt Weinclubs, in die ist es schwerer reinzukommen, als in das NASA-Astronautenprogramm. Jedes Kaff mit einem Rebberg hat ein Weinfest, all die Weinschiffe, -Reisen, -Verkostungen. Als ob Weinkonsumenten einen Grund bräuchten, sich zu betrinken, pardon – den Rebensaft zu kosten. Sogar in der Kirche wird gebechert. Blut Christi? Proooost! Neben der Fähigkeit Wein in Wasser zu verwandeln, haben Weintrinker sogar eine eigene Sprache: «Schöne Nase, üppiger und doch eleganter Körper, charmanter Abgang.» Tönt nach einem One-Night-Stand, ist aber eine Weinbeurteilung. Kenner bedienen sich einer bisweilen grotesk-snobistisch anmutenden Wortakrobatik, die hauptsächlich andere Weinkenner zu beeindrucken vermag. Ein Einfaches: «mir schmeckt der Wein» reicht denen nicht. Ein Vertreter dieser Gärmost-Klugscheisser beschreibt einen überteuerten Bordeaux so:

«In der Manier wandelnder Zartheit, im Gewand purer Eleganz, gravitätisch gravitationslos und mit kristalliner Brillanz gleitet dieser dominant dunkelbeerige Seidentraum mit der Frische morgendlicher Kühle reibungslos, in einem Tanninkorsett von atemberaubendem Zuschnitt, in nobler Haltung, schörkellos und im Bewusstsein der eigenen Nobilität über die Zunge und zeigt eine Gaumenkür von eklatantem Aplomb, formidabler Länge und animierender Frische.»1

‘The fuck hab ich da grade gelesen?!?? Da fragt man sich ernsthaft, was der sonst noch so geschluckt hat. Der hat definitiv zu viel gehabt. Kinder – Finger weg von dem Zeug!

Klare Anweisungen: Weintransporter in den USA «Im Falle eines Unfalls, bring Käse und Cracker. Echt viel Käse und Cracker.» © Reddit/u/InsatiableSarah

Noch ein Beispiel? Ein Weinbeschwörer ortet eine geschmackliche Ledernote in so einer Plörre und beschreibt den Geschmack «… wie ein scharf gerittener Damensattel»2. Schön, wenn man seinen Fetisch mit dem Schreibauftrag verbinden kann.

Weingeist ist zwar immer noch besser als gar kein Verstand, trotzdem bin ich nicht beeindruckt, wenn jemand eine «gute Flasche» im Restaurant ordert: 700 Franken für eine Pulle «Schlafite»? Gönnt man sich. Da sitz ich nun vor meinem Glas und kanns nicht so richtig geniessen. Bei jedem Schlückchen denke ich «wieder eine Zehnernote». Nachdem ich den Gegenwert eines Wochenendeinkaufs für eine ganze Familie verköstigt habe, fühle ich mich nicht bereichert. Höchstens leicht angesäuselt. Ich bleibe dabei: Das Zeug ist nur so populär, weil es betrunken macht. Noch ein Indiz? Wir trinken fast doppelt so viel Milch. Wo sind da die Milch-Ratgeber, die Milch-Sommeliers, Milchschiffe, Milchverkostungen? Hm? Okay, Milch ist nicht so haltbar wie Wein. Da stellt man kein besonders feines Tetra Pak für einen runden Geburtstag zur Seite. Trotzdem würde ich gerne einem Mitglied der Confrérie des Chevaliers du Tastelait zuschauen beim katzenzüngelnden Schlabbern der Milch aus der flachen Tasse, gefolgt vom Gegurgel und dem obligaten Zungenschnalzen. Was für Wortschöpfungen würden uns diese Menschen um die Ohren hauen? Schwer-eutrig? Heublumig? Schlankzitzig? Schmandperlig? Wir werden es nie erfahren. Warum? Weil das Zeug nicht … Sie wissen schon.

Irgendwie beleidigend für den Mann. © vecernji.hr

Eigentlich gehört Alkohol zu den harten Drogen. In seiner Darreichungsform als Wein kann er aber der Gesundheit sogar zuträglich sein: Ein Glas Wein am Tag, sagen Ärzte, sei eine gute Medizin. Nicht mehr lange und die Weinlobby verkauft uns das Zeug als Schluckimpfung. Da kann Kuhmilch nicht mithalten. Ich sage nur: Laktose-Intoleranz. Milch hat dafür andere Qualitäten: Sie hören nie jemanden Jammern, nach drei oder vier Gläsern Milch habe es sich wie eine gute Idee angefühlt, die verflossene Beziehung anzurufen, dass man sich wiedersehen solle oder so. Man kann sich mit Milch auch keinen Menschen schön saufen. Milch hilft nicht, mit unattraktiven Menschen Sex zu haben. Wein schon. Warum das so ist? … Eben.

(Tagblatt der Stadt Zürich 2.2.22)

1 https://www.aux-fins-gourmets.de/bordeaux/pauillac/chateau-pichon-comtesse/chateau-pichon-comtesse-2015.html

2 https://www.spiegel.de/panorama/im-rausch-der-enzyme-a-853ed28d-0002-0001-0000-000042903259

Nachtrag
Ich wurde auf Social Media gefragt, ob ich denn Wein oder Weintrinker oder gar beide nicht möge. Mitnichten. Ich mag das Getränk und die meisten seiner Trinker. Auf das Thema bin ich gekommen, weil ich mit einem Freund in einem Lokal zu Abend ass, wir ein superspannendes Thema diskutierten und sich plötzlich der «Maître de» an unserem Tisch materialisierte. Wir unterbrachen unser Gespräch und der Kellner zeigte mir die Flasche unseres bestellten Weins und zwar auf eine Art, als wäre es sein Erstgeborenes.
Ich war leicht peinlich berührt ob des Schauspiels, habe ihm bestätigt, dass das dem Etikett nach die bestellte Weinflasche ist. Er öffnet die Flasche kunstfertig, während wir schweigend zuschauten. Dann roch er am eben amputierten Kork, nickte und stellte seine Augenbrauen auf Fragezeichen, während er mir auf einem Tüchlein den Kork hinhielt, falls ich auch einen Lungenzug nehmen wollte. Ich winke ab, er interpretierte das wohl als Vertrauensbeweis und schenkt milde lächelnd eine homöopathische Menge in ein Glas ein. Der Weinverkostungsmoment war da. Zwei Augenpaare richten sich auf mich, ich probierte also einen Schluck, der wie das schmeckte, was ich bestellt hatte, nämlich Wein. Das habe ich dem Kellner mit meinem hochgestreckten Imperatordaumen bestätigt. Die Gesichtszüge des Service-Fachmanns entspannten sich, er setzte ein Verwöhn-Lächeln auf und schenkte dann die beiden Gläser ein. Nachdem er sie uns hingestellt und Wohlsein gewünscht hat, entfernte er sich diskret.
Da habe ich mir überlegt, wieso zwei erwachsene Männer ihr Gespräch einstellen müssen, weil einfach ein Getränk serviert wird. Bei Bier, Milch, Saft, Kaffee oder Mineralwasser passiert das nicht. Dann hat mich die Schreiblust gepackt.

Ich und Batman

Zeit für eine Zwischenbilanz: Ich habe die Übersicht verloren, in der wievielten Welle wir uns befinden, bin aber mächtig froh, dass die Pandemie 2020 gekommen ist und nicht 2003. Ich will mir nicht vorstellen, Tage und Wochen zuhause zu bleiben mit einem Nokia 3310 (hatte als einziges Spiel «Snake» drauf), dem meist schrottigen Fernsehprogramm ausgeliefert, einigen VHS-Kassetten im Gestell und einer ISDN-Verbindung. Wie konnte man eigentlich überhaupt aufs Klo ohne Smartphone?

©Jon Adams / New Yorker
©Jon Adams / New Yorker

Der Lockdown 2020 war zwar lästig, hat aber mir und vielleicht auch Anderen aufgezeigt, dass es nicht an der mangelnden Zeit liegt, dass man seine immer wieder aufgeschobenen Projekte nicht mal ansatzweise umsetzt. Diese Illusion ist definitiv gestorben. Ähnlich die Illusion mit der Fitness. Habe ich die gesparte Zeit, die ich nicht im Tram oder Bus verbracht habe, für körperliche Ertüchtigung verwendet? Natürlich nicht. Dabei habe ich mir echt überlegt, mit Fechten zu beginnen. Fechten ist der perfekte Corona-Sport: Masken, Handschuhe und du stichst jeden ab, der sich auf 1 Meter 50 nähert. Hab’s aber gelassen. Trotzdem bin ich wie jeder Kerl überzeugt, dass wenn ich es nur wollte, dass ich mir den Body eines griechischen Halbgotts antrainieren könnte. Hollywood-Schauspieler können das ja auch. Ich bräuchte nur drei Monate, einen Fitness-Coach, eine Ernährungsberaterin und keinen freien Zugang mehr zum Kühlschrank plus eine Motivation wie die Titelrolle im nächsten Batman-Film. Keine Ahnung, warum die mir nicht die Bude einrennen mit Superhelden-Rollenangeboten.

Wiedemauchsei – am 17. November sind wir im dritten Jahr der Pandemie. Ja, die zwei Wochen, die es zum Abflachen der Kurve brauchte, sind schon bald vorbei. Was haben wir Neues? Eine Dating-Plattform für Impfskeptiker. Coole Sache, denken sich Geizhälse … Entschuldigung, Sparfüchse: Dort rechnet es sich, einen neuen Schatz zu suchen, weil billiger kommt man nicht davon: Keine teuren Restaurants, keine Fitness-Clubs, keine Partys, keine Flugreisen – voll Low Budget. Mich braucht das aber nicht zu kümmern. Immerhin habe ich mich impfen lassen. Die Nebenwirkungen sind aber heftig: Ich werde keinen vorzeitigen Covid-Abgang machen, sondern bis zur Pensionierung arbeiten und womöglich noch älter werden. Das hätte ich mir früher überlegen sollen.

Abgehoben

Neulich habe ich Besuch vom Flughafen abgeholt. Da taucht man in eine andere Welt ein, in der andere Regeln gelten. Es gibt zum Beispiel keinen Dress-Code: Du kannst am Flughafen um 06:30 Uhr biertrinkend in Jogginghosen rumhängen, ohne dass irgendjemand auch nur die Nase rümpft. In der Transit-Zone laufen Leute rum, die sehen aus, als kämen sie direkt von einer Pyjama-Party oder wären vor zwei Minuten aus dem Bett gestiegen: Schlabbershirt, Turnhose, Flipflops, zerknautschte Frisur und schon fast sichtbarer Mundgeruch. Im Idealfall stammt der Mundstuhl von einem Fischbrötchen, das am Flughafen schnell mal ein kleines Vermögen kostet. Sogar auf der abgelegensten SAC-Hütte würde man sich für die Preisgestaltung schämen. Nicht so am Flughafen: Hey, das Zeug ist zoll- und steuerfrei und kostet trotzdem das Doppelte wie an der Bahnhofstrasse? Vielleicht ist es eine Art Export-Gebühr: Immerhin wird das Zeug, was die verkaufen, flugs verdaut und füllt danach Kanalisationen rund um den Globus. So genau will ich das aber nicht wissen und kaufe mir ein Fläschchen stilles Wasser zu einem Preis, den man eigentlich für einen Harass inklusive Heimlieferung zahlt.

Inflight Entertainment in der Goldenen Ära: Geselligkeit in der Lounge. © Airline Ratings

Flughäfen sind kein Ort des Frohsinns, ausser vielleicht in der Empfangshalle, wo hierzulande Kuhglocken offenbar noch einen hohen Stellenwert haben. Der Tiefpunkt wird erreicht beim Sicherheits-Check: Der Ort, wo alle die Schuhe ausziehen müssen und es riecht wie im Fondue-Stübli. Da spielen sich Dramen ab mit verknoteten Schuhbändeln, oder wenn der Metalldetektor pfeift, sind einzelne Passagiere schon nahe am Nervenzusammenbruch und Vielflieger nerven sich über Pauschaltouristen. Auch die spontan aufflammenden Bürgerproteste «Wieso muss ich meine Schuhe ausziehen?», tragen nicht zur guten Laune bei.

Aber der Flughafen ist kein Ort für repräsentative Verhaltensstudien. Es gibt zum Beispiel keinen Grund für ein Gedränge, sobald das Boarding beginnt. Trotzdem verhalten sich die Passagiere so, als sei es der letzte Helikopter in Saigon. Lustig wird er erst, wenn man das Flugzeug betritt und einem die Flugbegleitung zeigt, in welcher Richtung der Sitz ist. Ich bin dann immer überrascht, wenn ich nach hinten soll und nicht ins Cockpit. Ein weiterer Quell der Freude ist die Sicherheitsdemonstration, wo sie einem erklären, wie der Gurt funktioniert. Schwarze Magie. Ohne Anleitung hätte ich den Gurt vor dem Bauch verknotet. Mein Lieblingsteil kommt aber mit der Demonstration der Schwimmweste: Dieser angewiderte Blick der Flugbegleiterin, wenn sie die versiffte, tausendmal gebrauchte Weste hochhält, um sie dann mit angehaltenem Atem milimeterknapp am perfekten Make-Up vorbei streift und danach mit unterdrückter Abscheu Verschluss, Trillerpfeife und das Aufblas-Röhrchen demonstriert, das allein ist schon den Ticketpreis wert. Schade, dass die Safety-Demo heute meist mit einem Video abgefeiert wird.

Traumberuf 1970: Air Hostess. Damals Rockstars, heute Saftschubsen. © ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz / Swissair

Über die Bordverpflegung wurden schon Bücher geschrieben. Meine Erfahrungen kann man so zusammenfassen: Wenn die beiden Optionen
A) duftende Pasta mit Tomatensauce und frischem Basilikum, oder
B) kaltes Schafhirn mit verkohltem Fenchel sind, dann rauschen die Flugbegleitenden mit den Servier-Wagen an meiner Reihe vorbei, bis sie am anderen Ende des Flugzeugs mit Verteilen anfangen. Wenn sie dann nach gefühlten drei Flugstunden bei mir sind, ist eine Option gerade nicht mehr verfügbar. Raten sie mal welche … Jepp!

Aber irgendwann landet die Maschine – je nach Destination mit oder ohne Applaus – und bevor sie ausgerollt ist, stehen schon alle im Mittelgang mit ihrem Handgepäck und wollen nichts wie raus. Wozu? Damit sie länger am Gepäckkarussell warten können? Tröstlich finde ich nur den Gedanken, dass an jedem dieser Bänder der Wunsch einer Person in Erfüllung geht, dass ihr Koffer der erste sein möge, der durch den Gummilappenvorhang bricht. Aber auch das Gepäckkarussell ist nicht ohne Makel: Du wurdest zigmal geprüft, geröntgt, befragt und abgetastet, aber am Karussell kannst du jeden Koffer nehmen, der dir gefällt. Flughäfen sind komische Orte.

Hör mal!

(Für meine Leser*innen aus Hessen: «Hömma!»)
Mein Opa hatte in den Sixties ein Hörgerät. Ein kleines Gerät in der Brusttasche mit einem gezwirbelten Kabel ins Ohr. Mir hat das Teil furchtbar imponiert. Für mich sah er aus wie ein Secret Service Agent. Mein Opa, der Bodyguard des Präsidenten. Heute würde er nicht mehr auffallen bei all den Bluetooth-Ohrknöpfen, die sich mit ihren Menschen durch die Fussgängerzonen schleppen. Seine eingeschränkte Hörfähigkeit nannten wir «selektive Taubheit»: Wenn ein Auto beim Vorbeifahren eine Fehlzündung hatte und die ganze Familie zusammenzuckte und sich die Ohren zuhielt, drehte er nicht mal den Kopf. Aber wenn wir was Heimliches machten, hörte er Sachen, die nicht einmal ein Wolf hören könnte. Er sagte dann immer mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht: «Das hab’ ich überhört.» Sein Opa-Radar hatte mikroelektronische Verstärkung.

Gebogene Stöcke waren mal im Schwange. Man hatte in jeder Hand einen.

Später hat er sich ein diskreteres, hautfarbenes Teil zugelegt, das er sich hinter das Ohr klemmen konnte. Jepp, genau so ein Gerät, das beim Gesichtsmaske abstreifen bis zu acht Meter weit fliegt, bevor es sich beim Aufprall in Gerät, Batteriedeckel und Batterie zerlegt. Ich halte das für eine coole Masche, um hilfsbereite Menschen kennenzulernen. Wiedemauchsei, Opa hielt Schritt mit der Technik und schaffte sich ein Im-Ohr-Hörgerät an. Er hält es für die beste Investition seit dem elektrischen Rasierapparat. Wir haben gewitzelt, dass er es vor dem Zubettgehen mit dem Korkenzieher aus den Ohren pulen müsse. Er hat jeweils gekontert, dass er den besten Schlaf hätte, weil er den Soundtrack der Welt einfach auf null setzen konnte. Ich hätte gerne so ein 007-Teil mit einer coolen App. Hörgeräte-Entwickler aufgepasst! Mit dem von Q designten Teil könnte ich im Strassencafe sitzen und mit dem Handy auf Leute Zielen und deren Gespräche in glasklarer Qualität mithören. Sogar auf der anderen Seite der Piazza. Was mit Kameras möglich ist, sollte auch mit Mikrofonen möglich sein. Die Technologie existiert, aber wie das mit dem Mithören halt so ist: Das gehört sich nicht.

Grosse Hafenrundfahrt

Ich bin in einem Alter, in dem niemand mehr was tun muss, um mich zum Stöhnen zu bringen. Ich werde langsam, aber sicher ein grauer, alter Sack. Als 57-Jähriger bin ich schon fast so etwas wie ein Langzeitüberlebender. Auf mich warten nur noch Krankheit und erektile Dysfunktion, Krampfadern, Schlupflider und Hodenstillstand. Natürlich könnte ich den Verfall hinauszögern durch Ernährungsumstellung und Fitness-Studio, aber was habe ich davon? Den Körper eines Yoga-Instruktors und den Kopf eines Komodo-Warans? Nö, nö, es ist okay so, wie es ist. Das heisst aber nicht, dass ich mich gehen lasse. Ich gehe auch zum Arzt für den Checkup. Zum selben Arzt übrigens, der mich vor knapp drei Jahren untersucht und mir drei Wochen später die Operation am offenen Herzen beschert hat. Ich also hin und er meint, dass ich überfällig sei für eine Darmspiegelung. Danke. Immer wieder eine Freude in seiner Praxis. Unter Boomern nennt man die Koloskopie auch «Grosse Hafenrundfahrt». Der Ausdruck ist übrigens das einzige Lustige, das man der Angelegenheit abgewinnen kann. Ich kenne Leute, die würden lieber einen Sandstrand komplett staubsaugen, als sich einen 1,2 Meter langen Kameraschlauch in den Anus schieben zu lassen.

Jackson Pollock, Number 8 (1949), Neuberger Museum of Art, Purchase NY

Wiedemauchsei – für die Vorbereitung habe ich eine fette Box mit Pulvertüten aus der Apotheke erhalten. Der Eingriff ist an einem Nachmittag; am Morgen davor soll ich im Abstand von Stunden zwei Beutel Pulver in kaltem Wasser auflösen und trinken. Easy. Am Tag X schütte ich um sechs Uhr morgens einen Beutel Stuhlweichmacher mit Mango-Geschmack ins Halbliterglas. Das Zeug hat die Konsistenz von Fischkleister und einen üblen Synthetik-Fruchtgeschmack. Jede anständige Mango würde sich in den Boden schämen, mit so einem Aroma in Verbindung gebracht zu werden. Auch nach der vierten Mundspülung hatte ich so ein kristallines Knacken zwischen den Zähnen. Als Erfrischungsgetränk ist das Zeug nicht zu vermarkten.

Zwei Stunden später der zweite und letzte Beutel, das Abführmittel. Hier hat sich der Hersteller nicht mal mehr die Mühe gemacht, ein Fruchtaroma beizugeben. Das Zeug trinkt sich so zähflüssig wie ein Beutelfondue aus dem Kühlschrank. Der Brechreiz ist überwältigend, aber irgendwann sind die fünf Deziliter im Magen. Dort bleiben sie nicht lange und entfalten ihre Wirkung. Mein Gedärm gibt Geräusche von sich, die sonst nur Anwohner von aktiven Vulkanen zu hören bekommen. Ich erspare ihnen die Schilderung des weiteren Vormittags, nur so viel: Ich habe einen fäkalen Jackson Pollock in die Keramik gedonnert. Nicht nur einen. Immer wieder Neue. Irgendwann geht einem der Feststoff aus und man fühlt sich wie von einem Vampir ausgesogen.

Für die Busfahrt zum Spezialisten habe ich mir eine Damenbinde in die Unterwäsche geklebt. Calvin Klein meets Always Ultra. Den Eingriff selber habe ich dank Propofol-Narkose selig träumend verschlafen und bin danach, anders als Michael Jackson, erfrischt aufgewacht. Nachdem er mich versichert hat, dass da nichts Auffälliges zu finden war (keine Goldbarren, keine Rolex oder dergleichen), fragte mich der Arzt, ob ich eine Kopie der Aufnahme haben möchte. Einen kurzen Moment liebäugelte ich mit der Idee eines Filmabends mit Freunden und Nachbarn, habs dann aber sein lassen.

Was Erbaulicheres: Wie ich mir meinen goldenen Herbst vorstelle