Herr Ober!

Meine ich das nur, oder sind die Kellner in den Zürcher Restaurants freundlicher geworden, ja schon fast zuvorkommend? Früher galt ein Kellner (Neudeutsch: Catering– Assistant-Manager) bereits als freundlich, wenn er nicht handgreiflich wurde. Sie erinnern sich an den Typ: bodenlange Schürze, schulterlanges, fettiges Haar, gereizter Blick ins Leere. Er ist zwar im Lokal anwesend, aber nicht ansprechbar. Weder diskretes Zurufen noch dezentes Winken können seine Aufmerksamkeit erregen. Sein Gesichtsausdruck hat etwas Angewidertes, und du weisst: Du störst ihn am Arbeitsplatz. Diese Sorte fleischgewordener unprofessioneller Niedertracht scheint irgendwie ausgestorben zu sein. Oder haben die alle das Berufsfeld gewechselt und strafen die Menschheit mit noch mehr Boshaftigkeit? Vielleicht arbeiten sie heute in diesen Callcentern, die einem ständig telefonisch eine neue Versicherung aufschnorren wollen? Ich vermisse sie jedenfalls nicht.

K111 Kellner-Farbfilm-Verleih
Na also, geht doch. © Farbfilm-Verleih

Was ist noch neu und anders? Die ersten Kinder mit den biblischen Vornamen, all diese Eliasse, Noahs, Hannas, Leas und Saras sind langsam erwachsen. Ihre Nachfolger auf dem Pausenplatz sind die Kinder mit den noch kürzeren Vornamen. Die heissen jetzt alle Ben, Eli, Tim, Mia, Uma, Leo, Aya, Jan, Lia und so. Den einzigen kurzen Vornamen in meiner Schulzeit hatte Urs. Mann war ich neidisch! Klar, war der besser in der Schule: Als ich meinen Namen endlich aufs Prüfungsblatt geschrieben hatte, war er schon mit der ersten Aufgabe fertig. Danke, Mom und Dad, für meinen tollen langen Vornamen, der mit dem noch längeren Nachnamen kaum aufs Briefkastenschild passt! Ich habe meine Eltern eigentlich nie Mom und Dad genannt. Aber wenn ich eines von meinen Töchtern gelernt habe, ist es, dass man zu «Mom» oder «Dad» viel besser genervt die Augen verdrehen kann. Halt so wie ein misslauniger Kellner.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 7. Februar 2018)

Winter Blues

Ich weiss nicht, wies Ihnen geht, aber in der düsteren Vorweihnachtszeit, wenn die Tage immer noch kürzer werden, bereue ich es, nicht nach Australien ausgewandert zu sein. Wenn ich mich zwischen zwei saisonalen Übeln entscheiden muss, wähle ich Sonnenbrand vor Gefrierbrand. Der Winter Blues wirkt sich bei mir sogar körperlich aus: trockene Nase, kein Glanz im Fell und eine Ausdünstung nach Sandelholz und Reue. Zum Glück kommt bald die Wintersonnenwende. Danach geht’s nur noch aufwärts mit ganz vielen frohe Festtagen und einem neuen Jahr. 2018 können wir uns auf einiges freuen: Zum Beispiel Olympische Winterspiele in – na, wissen Sies? – richtig: Südkorea. Da können wir morgens um 3 Uhr aufstehen für ein Skirennen oder meine Lieblingsdisziplin: Rennrodeln Doppelsitzer Herren. Das ist Sport für aufgeweckte Menschen.

K110 Winter Blues
Ich habs jetzt schon dicke … © Pine Rest Christian Mental Health Services

Durchschlafen kann man dann im Sommer an der Langstrasse, wo es während der WM keine hupenden Italiener geben wird, die nächtelang ihre Mannschaft feiern. Eigentlich schade, dass sich die Squadra Azzurra nicht qualifiziert hat. Wir Männer werden nie erfahren, welche Frisuren man jetzt gerade so trägt. Als Trostpflaster können wir uns über die erste WM-Teilnahme Islands freuen. Nur bezweifle ich, dass die 67 in der Stadt wohnhaften Isländer die italienische Gemeinde in Zürich partymässig ersetzen können. Was wird uns noch bewegen im nächsten Jahr? Die royale Hochzeit in England, die Rettung des Schweizer Fernsehens und die letzte Staffel «Game of Thrones». Persönlich bin ich auf eines besonders stolz: Dass ich meinen Vorsatz vom letzten Jahr voll durchgezogen habe und ihn auf das nächste Jahr ausdehne: Ich werde auch 2018 alle Firmen boykottieren, deren Produkte ich mir nicht leisten kann. Frohe Festtage.

(Tagblatt der Stadt Zürich 13. Dezember 2017)