Seitensprung

Ja, ich bin fremdgegangen. Statt, wie es sich für einen guten Zürcher gehört, ans Theaterspektakel zu gehen, bin ich an die Badenfahrt gegangen. Immerhin gibt es dieses grösste Fest unseres Nachbarkantons nur alle zehn Jahre und Baden lockte schon zu Zwinglis Zeiten die spassmässig ausgehungerten Zürcher mit allerlei Kurzweil, Frohsinn und Allotria an. Wir Zürcher mögen also den Aargau, auch wenn wir es nicht immer zugeben. Er ist die mit Atomkraftwerken, Rüebli und weissen Socken bewehrte Pufferzone, die uns von Basel trennt.

Jetzt also dieses Jahrzehntfest. Anreise mit dem Zug und auch wenn man wie ich Massenansammlungen und Gedränge verabscheut, gibt es doch gute Gründe, sich die Badenfahrt zu geben. Neben Konzerten, Theatern, Strassenkünstlern sind die unzähligen Festbeizen die wahre Attraktion. Da finden sich dreistöckige Lokale, die von grosser Zimmermannskunst zeugen sowie eine schwindelerregend hoch gebaute Festbeiz, bei der man erstmal acht Etagen Gerüstbau-Treppen kraxeln muss, um dann oben mit einer fantastischen Aussicht belohnt zu werden.

K106 Badenfahrt
Yup, Festbeiz.    ©badenfahrt.ch

Wir hätten dort oben essen sollen. Meine Frau Gemahlin hat leider vorher schon an einem indischen Stand einen Teller Chicken Tikka Masala erstanden, der uns den Appetit auf Tage hinaus verdorben hat. Das Huhn war vermutlich ein geriatrischer Truthahn, der schon etliche Flugstunden drauf hatte und wohl in der Achtungsstellung erschossen wurde. Der Reis war noch nicht al dente und die fade Curry-Joghurt-Gemüsepampe vermochte das Gammelfleisch und den Reis nicht aufzuwerten. Die 15 Franken für die homöopathisch kleine Portion waren rausgeschmissenes Geld. Schade. Ebenfalls befremdlich: Die hohe Dichte von Ed-Hardy-T-Shirts. Sind die nicht schon seit 2010 verboten? Egal. Ich geh da wieder hin … in zehn Jahren.

Summer in the City

Juli/August sind die Monate mit Reisepflicht und Amüsierzwang. Am grössten ist der Druck in der Firma: Wenn du nur eine Nuance bleicher bist, als die ersten Ferienrückkehrer, wirst du zehn Mal am Tag gefragt: «Woanegaasch?». Hast du einigermassen einen Teint, fragen dich genauso viele Leute: «Wobischxi?»Irgendwann wird es langweilig, immer die gleiche Antwort zu geben. Ich sage dann so Sachen wie «Südpazifik, Tahiti – d’Schwiegereltere händ es Hüsli dötte.» Das kleine Detail mit den Häuschen macht es glaubwürdig. Je nach Laune nenne ich auch mal ein Bürgerkriegsland, «häsch fascht nienez Handynetz und d’Roaming-Gebühre sind brutal» oder ein radioaktiv verseuchtes Gebiet: «Muesch immer en Geigerzähler debii ha.» Natürlich rücke ich jedes Mal bei den verdutzten Gesichtern mit der unspektakulären Wahrheit raus: Wir bleiben in Zürich und geniessen den Sommer hier. Eben ist meine römische Verwandtschaft eingetroffen. Denen fiel vor allem die rege Bautätigkeit in der City auf. Wenn Rom die ewige Stadt ist, ist Zürich die ewige Baustelle: Central, Stauffacher, Kornhausbrücke – wo immer ein Stück unversehrter Asphalt gefunden wird, wird die Strasse aufgerissen. Mit dem Velo kommt man aber überall durch. Meine Römer sind jedenfalls begeistert vom Gratis Veloverleih, aber auch von lokalen Spezialitäten wie dem Kaffee bei Schwarzenbach, der Schoggi vom Schober, der Cremeschnitte in der Waid und vor allem den Gratisbädern an See und Fluss. Den 1. August fanden sie infernalisch. Meine Nachbarn haben akustisch eine Weltkriegs-Schlacht an der Westfront von vor 100 Jahren nachgestellt. Trotzdem finden sie es toll hier. Vor allem wegen der «wunderbar milden Temperaturen». Wären sie nur eine Woche früher hier gewesen, hätten sie auf dem Balkon nicht die Badetücher zum Trocknen, sondern Meisenknödel aufgehängt.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 2. August 2017)