Herzensangelegenheit

Seit der letzten Kolumne habe ich wieder einen Hausarzt. Ich hatte 35 Jahre keinen und tat, was Über-50-Jährige bei Hausärzten so tun: Ich liess mich untersuchen. Der neue Doktor hörte bei meinem Herzen einen Ton der ihm so gar nicht gefiel und schickte mich zum Kardiologen. Der machte ein Belastungs-EKG, so auf einem Velotrainer mit ganz vielen Saugnäpfen auf meinem Oberkörper. Ich war beeindruckt von der Technik, der Kardiologe aber nicht von meiner wohl etwas dürftigen Performance. Da müsste mehr drin liegen, meinte er und schickte mich ans Unispital in die Röhre. Dort stellte man zwar Ablagerungen in den Herzkranzgefässen fest, aber wie weit die meine Gefässe verstopfen, war nicht sichtbar. Nächste Station: ein Hi-Tech-Operationssaal in der Klinik Hirslanden. So Spielberg-mässig mit schwebenden Röntgengeräten um mich herum führte der Spezialist eine Kontrastmittel-Einspritzung in meine Herzkranzgefässe durch und zeichnete das Ganze auf. Auf einer Seite alles tipptopp, auf der anderen … Verengungen, die mich entweder hätten töten oder mindestens stören müssen.

Taminamal! Nachdem er die Aufzeichnung mehrfach gesichtet hat meinte er, dass eine Bypass-Operation unumgänglich sei und möglichst bald stattfinden sollte. Fuck! Das ist ziemlich schnell eskaliert, innert etwas mehr als zwei Wochen vom neuen Hausarzt bis zur Operation am offenen Herzen. Ein paar Tage später treffe ich meinen Chirurgen, der mir den Eingriff erklärt. Da wird mir erst mit dem Skalpell die Haut über dem Brustbein aufgeschlitzt, dann der Knochen durchsägt und dann die Rippen auseinandergespreizt, damit meine Innereien gut zugänglich sind. Bevor die irgendwas am Herz machen wird erstmal die Brustwandarterie freigelegt. Die wird dann nicht mehr meine Man-Boobs versorgen, sondern nach der ersten Verengung in mein Herzkranzgefäss geleitet. Jepp, steht im Kleingedruckten. Ich werde die nächsten 10 Monate taube Titten haben. Während einer guten Stunde steht mein Herz still und die Sauerstoff-Versorgung für mein Blut übernimmt die Herz-Lungen-Maschine. Fünf Bypässe später darf mein Herz wieder übernehmen, dann wird die zwischenzeitlich kollabierte Lunge (steht nicht mal im Kleingedruckten) wieder gebläht und übernimmt das Atmen. Dann wird zugemacht, das Brustbein wird mit Drahtschlingen zusammengehalten, die Haut mit Steri-Strips geklebt. Routine halt. Passiert so fast viertausend Mal im Jahr alleine in der Schweiz.

Mein Chirurg ist mit einer sehr ruhigen Hand und einer guten Portion Humor ausgestattet. Ich soll ihn doch am Montagmorgen, 16. Mai 2018 (meinem Ops-Termin) in seiner Werkstatt besuchen. Right! Dazu rücke ich schon am Sonntag ein, rauche meine letzte Zigi und rasiere mir die Brust. Eine halbe Stunde vor dem Ops soll ich mir dann auch die Beine rasieren. Für den Fall, dass die Brustwandarterie nicht reicht und sie noch eine Vene brauchen. Mann! Rasierte Beine?!?? Gehe ich an eine Fetisch-Party? Mein Narkotiseur hat mich rasch eingeschläfert und die nächsten 24 Stunden sind nicht nur in meiner Agenda leer. Der Chirurg hat nach der problemlos verlaufenen Operation meine Familie über den Verlauf unterrichtet, mehr weiss ich nicht. Am Dienstagnachmittag war ich noch auf Morphium und habe laut meiner Familie ohne Unterbruch tourettiert. Ich soll das F-Wort sehr oft verwendet haben. Tönt peinlich aber glaubwürdig.

MecNrb
Jepp, sieht Scheisse aus.

Einen Tag später bin ich auf Morphin- und Nikotin-Entzug, stehe es aber recht gut durch. Ich will der Vorzeige-Patient sein. Beim Verbandwechsel sehe ich erstmals meine Narbe. Okay, bikinifähig ist sie nicht – Ich hätte aber auch sonst nie eines getragen. Mein Herz rennt immer noch wie blöd, der Puls kommt nur langsam über mehrere Tage unter 100. Ich sage mir, es freut sich, dass es jetzt wieder so durchblutet ist wie ein Teenie-Herz. Überhaupt bin ich ein Glückspilz. Auch dass ich im Hirslanden operiert wurde ist Fortuna zu verdanken. Nicht dass die anderen Spitäler schlechtere Aussichten auf Genesung böten, aber das Hirslanden ist ein Luxusspital in dem ich trotz meiner Krankenversicherung, die nur für die allgemeine Abteilung aufkommt, in ein Einzelzimmer platziert werde. Die Küche verdient alle Sterne und Kochmützen der Welt und ich kann beim Mittag- und Abendessen zwischen drei Mal drei Gängen kombinieren, resp. auswählen. Nur der Kaffee ist eine Katastrophe.

Nach einer Woche hiess es Goodbye Sterneküche und Einzelzimmer im Hirslanden, Hello Reha Seewis im pretty Prättigau. Im Boot Camp der kardiologischen Navy Seals wurde ich mit einem Gleichaltrigen ins Zimmer gepfercht. Dazu muss ich sagen, dass ich seit dem Kinderzimmer mit meinem Bruder und dem Militärdienst nie mehr mein Zimmer mit einem Mann geteilt habe. (Ausser vielleicht mal in einer SAC-Hütte.) Der Typ tat mir anfangs sogar leid, weil ich doch recht laut schnarche. Das mit den Schuldgefühlen hat sich dann schnell gelegt. In ihm habe ich meinen Meister gefunden: Sein Repertoire reicht vom ertrinkensähnlichen Gurgeln bis zu Geräuschen, die man sonst nur aus der Schwerindustrie kennt. Er gurgelt, rönft, sägt, grunzt und rotzt in einer eigenen Liga. Könnte man mit Schnarchen die Weltherrschaft erlangen, er wäre unser aller Gebieter. Wach ist er aber ein lustiger Zeitgenosse. Wir beide waren so ziemlich die Jüngsten im Haus.

So eine Reha ist eine ziemlich öde Angelegenheit. Die Essenszeiten sind festgelegt, wer 15 Minuten nach Termin nicht am Tisch sitzt, wird angerufen. Das Essen selber ist verkocht und versalzen. Das Beste ist das Salatbuffet. Im Tagesprogramm sind mindestens drei körperliche Ertüchtigungseinheiten vorgesehen. Eine Turnstunde, die einem in der höchsten Leistungsgruppe knapp den Schweiss in den Poren aktiviert, aber nicht rausdrückt. Ganz anders die tägliche Kampfwanderung. In meiner Leistungsgruppe gingen die Trips an meine Grenzen. Allerdings gibt es in Seewis nicht unbegrenzt Wanderwege, so dass ich in der dritten Woche jede Wanderung mindestens schon zweimal gemacht habe. Das Übelste war die Velogruppe. Liest sich gut im Tagesprogramm: Velogruppe. Im Gegensatz zum Joggen bietet Velofahren ziemlich viel Abwechslung. Man hat immer was zum Schauen, der Wind pfeift einem um die Nase, Wetter, Licht, Gerüche, Verkehr und das Terrain ändern sich, man muss Schlaglöchern oder offenen Dolendeckeln ausweichen, mal geht es bergauf, mal bergab – kurz: Beim Velofahren vergeht die Zeit wie im Fluge. Ausser man nimmt all die Sachen weg, die ich aufgezählt habe und montiert das Velo fest in ein Zimmer und nennt es Hometrainer. Jepp, jeden Tag eine halbe Stunde ödes Kurbeln am Ort mit hundert Watt Widerstand. Ich habe auf dem Handy Angry Birds gespielt, um der Plackerei wenigstens etwas Spass abzugewinnen. Auch Seewis selber ist nicht so richtig der Börner. Als ich anlässlich des ZSC-Meistertitels – so nach 22 Uhr – ein Meisterbier suchte, fand ich nur geschlossene Lokale. Ausserdem hats mir dort fast zu viel Natur. Ich bin wohl ein Stadtkind. Endlich, nach drei Wochen war ich der fitteste von allen Patienten und durfte nach Hause. Exakt 29 Tage nach der Operation bin ich wieder in Zürich teile die Erkenntnis, dass es keine gesunden Menschen, sondern nur schlecht Untersuchte gibt und suche mir einen neuen Job.