Krückstock

Langsam hab ich es dicke mit meinen Sprunggelenken. Da will ich nur einen kleinen Spurt hinlegen, schon knackt es im Gebälk. Meine mit Superkräften ausgestattete linke Wade hat zu stark an der Ferse gezogen und darauf hat sich die Achillessehne mit einer Zerrung in Erinnerung gerufen. Autsch! Die Ärztin in der Örliker Permanence – natürlich ist es am Wochenende passiert – hat mich mit Verbänden, Salben und Schmerzmitteln ausgestattet. Die empfohlenen Krücken hat dann Freund Stephan beschafft. Und natürlich musste ich mir von ihm und anderen Freunden diverse wohlgemeinte Laienpredigten anhören: Wo ich denn Laufen gelernt hätte und ich solle mich in meinem Alter aus dem Sport zurückziehen und zum Alkoholiker umschulen lassen. Rosen züchten, Briefmarken oder Pfandflaschen sammeln und dergleichen wurden ebenfalls als alternative Tätigkeiten vorgeschlagen. Danke. Ich gehe jetzt also an Stöcken. Haben sie das auch schon mal gemusst? Nur schon die Zeitung holen (vierte Etage ohne Lift) ist eine herkulische Prüfung. Ich stehe also am Briefkasten und merke erst dann, dass ich die Hände ja schon mit den Krücken voll habe. Wohin mit der Zeitung? Zwischen die Zähne? Yuck! Ich habe sie mir irgendwie in die Hose gesteckt. Den Preis für Coolness gewinnt man damit nicht. Vor allem dann nicht, wenn einem die Prospekte aus der Zeitung im Hosenbein runterrutschen. Am Montag habe ich die Post dann mit dem Rucksack geholt. Aber der Trick funktioniert nicht mit dem Morgenkaffee. Wie ich den zum Balkontisch oder neben das Bett trage ist ein würdeloses Schauspiel. Ich kann dem Ganzen bisher nichts Gutes abgewinnen, ausser vielleicht, dass ich im Moment nicht mehr mit dem linken Bein aufstehen kann.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 3. Juli 2017)

Von oben herab (extended Version)

Mein absoluter Lieblingsplatz in unserer Wohnung – zumindest zwischen April und Oktober – ist die kleine Terrasse mit dem Blick über die ganze Stadt. Da oben fühle ich mich schon am Morgen wie ein Rockstar, der hoch über Zürich thront. Okay, Seeblick ist nicht, weil da dieses viel zu solide Schulhaus steht. Ja, ich habe schon über einen «forcierten Rückbau» nachgedacht, und nein, ich habe es nicht vor. Egal. Unten auf der verkehrsberuhigten Strasse kreuchen und fleuchen Velos, Jogger und vor allem Jungeltern, die ihre Fortpflanze im Kinderwagen, auf Zwergvelos, in Bobbycars oder an der Hand in Richtung Irchelpark ziehen oder schieben. Manchmal spielen sich unten kleine Tragödien ab, die ich als Vater von Teenagern entspannt und höchstens mit einem kleinen Bitzeli Mitleid verfolge, weil irgendwie jeder mit Kindern da durch muss. Kiddies werden immer noch ohne Handbuch und Gebrauchsanweisung geliefert. Zum Beispiel bereitet einen niemand vor auf die lustigen Sachen, die sie nach Hause bringen: Tiere, die sie auf ihren Streifzügen durch die Gärten finden – von Käfern über Schnecken bis zu Igeln und Hauskatzen. Oder Läuse aus dem Kindergarten. Läuse sind so etwas wie die Kinderversion von Geschlechtskrankheiten. Aus dem Kindergarten kommen auch die schlimmsten Schimpfwörter. Waren vor dem Besuch Wörter wie «Blöde» oder «Gaggi» die härtesten Kraftausdrücke, mit denen andere Kinder bedacht wurden, wuchs das Repertoire schon in der ersten Chindsgi-Woche rasch und an der Spitze stand neu «miese Cracknutte». Noch mehr Müsterli? Legos, die auf dem Kinderzimmerboden herumliegen. Das tut sauweh, wenn man im Dunkeln auf einen Legostein tritt und noch fieser ist es, wenn man keinen Mucks machen darf, weil die Zwerge schlafen. Dabei wollte man ja nur nachschauen, ob das Kind gut zugedeckt ist. Nein, ich beneide Jungeltern nicht. Aber wie sagt man so schön: Aus vollen Hosen ist gut stinken. Aus sicherer Distanz schaue ich ihnen jedenfalls gerne zu.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 5. Juni 2017)

Kann man Brauen trauen?

Ich gebe mir echt Mühe, den Menschen, mit denen ich spreche, in die Augen zu schauen. Neulich wars aber echt schwierig, den Augenkontakt zu halten, weil die Dame recht eigenwillig gezupfte Augenbrauen hatte. Die sahen aus wie zwei Spermien, die auf einen unsichtbaren Punkt oberhalb der Nasenwurzel zusteuern. Ich habe in der Konversation zweimal den Faden verloren und musste nachfragen, weil ich so abgelenkt war. Tags darauf sah ich eine andere Frau im Tram mit ähnlich gezupften Brauen und eine dritte in der Migi. Ist das schon ein Trend? Meine Teenager-Töchter konnten mich beruhigen, das sei nur eine zufällige Häufung gewesen. So habe man sie in grauer Vorzeit getragen. (In der Teenie-Zeitrechnung also vor fünf bis fünfzehn Jahren.) Heute trage man die Brauen mehr in der natürlichen Breite und sauber gebürstet. Aha. Seither achte ich mehr auf die Haarpracht oberhalb des Auges. Zwischen Stauffacher und Bellevue bin ich oft mit einer «Funky Old Lady» zusammen im Tram. Sie ist um die 60 Jahre alt, hat flammend rote Haare, ist schrill angezogen und hat solide Balken als Brauen. Ich bin sicher, ihr Schminkstift ist ein Edding 500. Das sind richtige Klötze oberhalb der Augen. So wie bei den Parteiführern in der untergegangenen Sowjetunion. (Trifft die Brauen eine Teilschuld?) Als Kerl macht man sich eigentlich keine Gedanken über Augenbrauen. Die sind einfach da. Wenn sie so lange sind, dass sie die Sicht versperren oder man drauftritt, dann werden sie gestutzt. Fertig. … Denkste! Augenbrauen sind ein Wirtschaftsfaktor. 50 Millionen Franken geben Schweizerinnen jährlich für Wimpern und Brauen aus. Wenn ich Geld für Brauen ausgebe, dann bekomme ich keine Tusche, sondern Bier.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 18. Mai 2017)

Ich glotz TeVau

Ich glotz TeVau

Ich habe irgendwie das vergangene Vierteljahrhundert ohne Fernsehen geschafft. In meiner ersten Wohnung hatte ich noch so ein Ding. Es war für heutige Verhältnisse monströs. Nicht die Bildschirmdiagonale, sondern das Gehäuse, das die Bildröhre und die Elektronik beherbergte. Heutige Kinder würden sicher Fragen: «Was ist das für ein Möbel hinter dem Monitor?» Dass ich später keinen Fernseher mehr hatte, lag nicht daran, dass ich mir keinen leisten konnte, nein, ich konnte damit einfach nicht umgehen. Früher gabs nach Mitternacht kein Programm mehr und man ging zu Bett. Meistens war ich aber schon vorher auf dem Sofa eingeschlafen und unterkühlt aufgewacht mit einer kleinen Speichelpfütze unter dem Mund. Yuck! Auf der Mattscheibe lief entweder das Testbild des Senders oder es war weisses Rauschen, das man damals «Ameisenrennen» nannte. Fernseher ausschalten, ab ins Bett. Am nächsten Morgen hatte ich genug Schlaf. Fast forward zu meiner ersten eigenen Wohnung: Damals hatten die Sender schon bis weit nach Mitternacht Programm und schalteten danach diese unsäglichen Dauerwerbesendungen auf, wo sie zum Beispiel Küchenmesser verkaufen, mit denen sie im Studio einem Auto den Kotflügel wegschneiden. Tönt doof, war es auch. Egal, ich habe alles geschaut und gezappt. Man hätte mich vor eine Waschmaschine mit einem farbigen Sud setzen können, ich hätte auch zugeschaut. Es war also reiner Selbstschutz, dass ich den Fernseher entsorgt habe. Und heute hängt so ein Teil bei meiner Tochter an der Wand. Hat sie vom Götti auf den 18. bekommen. Danke Stephan. Im Nachhinein bedaure ich, dass ich damals deinen Kiddies nicht das Schlagzeug geschenkt habe.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 13. April 2017)