Ich gebe mir echt Mühe, den Menschen, mit denen ich spreche, in die Augen zu schauen. Neulich wars aber echt schwierig, den Augenkontakt zu halten, weil die Dame recht eigenwillig gezupfte Augenbrauen hatte. Die sahen aus wie zwei Spermien, die auf einen unsichtbaren Punkt oberhalb der Nasenwurzel zusteuern. Ich habe in der Konversation zweimal den Faden verloren und musste nachfragen, weil ich so abgelenkt war. Tags darauf sah ich eine andere Frau im Tram mit ähnlich gezupften Brauen und eine dritte in der Migi. Ist das schon ein Trend? Meine Teenager-Töchter konnten mich beruhigen, das sei nur eine zufällige Häufung gewesen. So habe man sie in grauer Vorzeit getragen. (In der Teenie-Zeitrechnung also vor fünf bis fünfzehn Jahren.) Heute trage man die Brauen mehr in der natürlichen Breite und sauber gebürstet. Aha. Seither achte ich mehr auf die Haarpracht oberhalb des Auges. Zwischen Stauffacher und Bellevue bin ich oft mit einer «Funky Old Lady» zusammen im Tram. Sie ist um die 60 Jahre alt, hat flammend rote Haare, ist schrill angezogen und hat solide Balken als Brauen. Ich bin sicher, ihr Schminkstift ist ein Edding 500. Das sind richtige Klötze oberhalb der Augen. So wie bei den Parteiführern in der untergegangenen Sowjetunion. (Trifft die Brauen eine Teilschuld?) Als Kerl macht man sich eigentlich keine Gedanken über Augenbrauen. Die sind einfach da. Wenn sie so lange sind, dass sie die Sicht versperren oder man drauftritt, dann werden sie gestutzt. Fertig. … Denkste! Augenbrauen sind ein Wirtschaftsfaktor. 50 Millionen Franken geben Schweizerinnen jährlich für Wimpern und Brauen aus. Wenn ich Geld für Brauen ausgebe, dann bekomme ich keine Tusche, sondern Bier.
(Tagblatt der Stadt Zürich, 18. Mai 2017)