S’hät Schnee, Juhe!

Im Garten bei uns steht jetzt also ein Schneemann. Meine Tochter, eine der Mit-Erbauerinnen, korrigierte mich, dass das eine Schneefrau sei. Tatsächlich, das sehr gelungene Teil hat deutlich weibliche Attribute: Eine schlanke Taille zwischen der Basiskugel und der Oberkörperkugel, sowie zwei Ausbuchtungen im Oberkörper, die zwar nach plastischer Chirurgie aussehen, aber unverkennbar weiblich sind. Der modische Schal und der fröhliche Hut sind weitere Indizien. Trotzdem, wie kann ich sicher sein, dass sich die Schneeperson als Frau identifiziert? Kennt denn jemand die Pronomen von der Rübennase? Ist alles gar nicht mehr so leicht heute.

Die Schneefrau mit ihren Erbauerinnen

Beim ersten Schneeball, der den Baum über mir trifft (Saugoofe!) und mir Kopf und Kragen einschneebelt, kommt mir immer mein amerikanischer Freund John in den Sinn: Der hat damals nach einer Schneeballschlacht begeistert einen englischen Satz direkt auf Deutsch übersetzt: «Das war eine grosse Schniikugelkrieg!» Yeah!
Am Sonntag war Zürich voll das Winterwunderland, so mit blauem Himmel, verzuckerter Landschaft und knarrendem Schnee unter den Füssen. Wenn es solche Tage öfters gäbe, müsste Dani Leupi eine Kurtaxe einführen. Am Monte Diggelmann wurde geschlittelt; für viele Kinder war es das erste Mal. Direkt daneben haben andere Kinder gelernt, dass man Schnee-Engel nicht mit dem Gesicht nach unten macht und dass es bessere Orte gibt, als die Hundeversäuberungswiese. Die Zeitungen sind wieder voll mit Blechschäden und Oberschenkelhals-Frakturen, Autofahrende schaufeln was das Zeug hält und schaben mit Kreditkarten die Windschutzscheiben frei. Beim Abendspaziergang in der eisig klaren Nachtluft war da dieser Gluscht nach Fondue und Glühwein und nur das ferne Brummen der Pistenfahrzeuge hat gefehlt. Winter in Zürich kann schön sein, wenn er mal ein paar Tage bleibt.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 06.12.2023)

« … wie … »

Neulich im trendigen Altstetten: Ein grosser Tisch an der frischen Luft, neben mir zwei junge Erwachsene, beide mit Pronomen und Bargeld ausgestattet, unterhalten sich lautstark über die Gentrifizierung «ihres» Quartiers. Mich hat weder der Ostschweizer Dialekt der einen, noch der Berner Dialekt der anderen Person gestört. Auch der Umstand, dass beide eine Matcha Latte für 10 Franken von einer internationalen Getränkekette vor sich stehen hatten und über sterbende Quartierbeizen oder -Lädeli schnödeten, ging mir voll am Ellenbogen vorbei.

Was mich irritierte, war das «wie». Es kam in jedem Satz, den die beiden absonderten, mehrfach vor: « Ich finds wie denäbet, dass d’Stadt wie nüt macht.» Woher kommen die überzähligen «wie»? Ja, lesen Sie den Satz ruhig nochmal durch: Er käme hervorragend ohne die Wies aus. Die zwei redeten munter weiter und ich war fasziniert, dass beide denselben Sprachfehler hatten. Ein Einzelfall? Mitnichten. Im Tram, im Laden, an der Bar – überall dasselbe. Das «wie» ersetzt komplett und radikal alle anderen Füllwörter: Das Ostschweizer «en Art» oder das Berner «gäng» – alle ersetzt mit «wie». Irgend-wie (haha) tönt es in meinen Zürcher Ohren dümmlich. Unser Füllwort ist das «oder» am Ende jeden Satzes. Da hat ein «wie» nichts zu suchen. Ist das wieder so ein Blödsinn, der es über den grossen Teich geschafft hat, wie Halloween und Marshmallows? Das «wie» wird genau gleich angewendet wie das Füller-«like» im amerikanischen Englisch. In Hollywood werden Schauspielende in Dumpfbacken-Rollen mit ganz vielen «likes» in ihren Texten gestraft. Wer’s nicht glaubt, soll sich eine High-School-Komödie im Originalton zu Gemüte führen. Als Vater von Millenial- und Gen-Z-Töchtern bin ich besorgt. Ich hoffe nur, dass das nicht wie ansteckend ist.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 13.09.2023)

Erste Dekade

Zehn Jahre schreibe ich mehr oder weniger regelmässig launige Kolumnen für unser Verwöhnblatt. Über die Jahre habe ich so alle paar Monate aus dem Kreis der Leser*innen schaft mal Feedback erhalten. Jepp, mehr ist nicht drin. Das Spektrum reicht von freundlich-wohlwollend bis hin zum bedrohlichen «… Sie am liebsten in meine Wohnung zerren und endlos XXX.» (anonym). Offen verachtend war nur der Brief eines Musiklehrers von der Pfnüselküste. Keine Ahnung, wie er dort an die Zeitung gekommen ist, aber in seiner Fanpost hat er meine Familie seines tiefsten Mitgefühls versichert, dass sie mich ertragen müssen und mir gegenüber den Wunsch geäussert, dass «Leute wie Sie sich auflösen». Ich hoffe, ihm hat die handschriftliche Formulierung seiner Breaking-Bad-Fantasie gutgetan.

Vom Teenager bis zum alten Sack: Fünf Dekaden Messi

Zweimal wurden Kolumnen von der Chefredaktion abgelehnt: Die eine war ein politisches Meinungsstück zur Kampfjet-Beschaffung, die der damalige Chefredaktor wegen der Nähe zur Abstimmung nicht publiziert sehen wollte, die Andere war eine … vielleicht etwas drastische Schilderung meiner ersten Darmspiegelung. So wurden Sie von den Detail verschont, wie ich einen fäkalen Jackson Pollock in die Keramik gedonnert habe. Die beiden Kolumnen finden sich auf messiswelt.com.

Meine Webseite bietet auch lustige Statistiken: Interessant finde ich, dass seit ich den überragenden Führer der chinesischen Volksrepublik Xi Jinping in einem Nebensatz erwähnt habe, jeden Monat zehn Besucher*innen aus China auf meiner Webseite sind. Wohl arme Studierende, die hoffen, ihren Sozialkredit durch die Aufdeckung meiner subversiven Schreibe etwas zu verbessern.

Freude habe ich auch an den vielen Besucher*innen aus fernen Ländern wie Uganda, den Cook Islands oder Grönland. Es gibt wohl keinen Ort, an dem Tagblatt-Leser*innen nicht waren.

(Tagblatt der Stadt Zürich, 21.06.2023)