Nach dem letzten Graupelschauer am Sonntag (Ich mag das Wort) sind wir schon voll im Zürcher Vorfrühling: Am Sonntag klauen sie uns wieder eine Stunde Schlaf, befreundete Allergiker posten Frühlingsprosa wie «Birken sind Arschlöcher», der Böögg ist bald wieder Thema und rund um den Idaplatz blühen die Kirschen. Das Wetter macht schon auf April und am Sonntag bei unserem Gartenfest wars noch saukalt mit böigen Winden, Pinguinen und – eben –graupligen Schauern. Die konnten und das Fest nicht vermiesen, denn wir sind Zürcher: Knorrig und wetterfest. Uns bringt nichts um, ausser … Durchzug. (Damit meine ich nicht die Kundenzeitung der Zugerland Verkehrsbetriebe, sondern einen starken Luftzug in Innenräumen.)
Der schleichende Tod, wie ihn Schweizer fürchten ©Alistair MacRobert
Durchzug – und das wissen nur Schweizer, andere Länder haben nicht mal ein Wort dafür – Durchzug ist der sichere Tod. Während in Filmen bei Durchzug höchstens mal eine auf dem Tisch ausgebreitete Briefmarkensammlung durcheinandergewirbelt wird, hat der hinterhältige häusliche Luftstrom in unserem Land ganz andere Konsequenzen: Wenn es in einem normalerweise geschlossenen Raum zieht, stirbt der Schweizer auf der Stelle. Du kannst auf nem Berggipfel stehen, bei 140 Km/h Orkanböen, macht nix, aber Durchzug killt dich sofort. Das fängt an mit einem Ziehen im Genick und dann – ruckzuck – entweder ein grauslicher Tod, oder dann wird ein Fenster geschlossen.
Du kannst in der Sommerhitze einen Ventilator, mit dem man einen Airbus A380 in die Stratosphäre pusten könnte, permanent auf dich richten – zählt nicht. Aber eines steht fest: Durchzug zieht das sofortige Ableben nach sich, ausser man stellt ihn absichtlich selber her. Dann heisst er aber auch nicht mehr Durchzug, sondern Stosslüften und wurde sogar mal von einem Bundesrat empfohlen. In der nationalen Sterbestatistik findet sich Durchzug zwar auch ganz unten in der Liste nicht, aber das ist uns egal. Was wir wissen, das wissen wir. Nämlich. Und überhaupt.
Durchzug ist ein ähnliches urhelvetisches Phänomen mit plötzlicher Todesfolge wie das mit den Nieren: Wenn ich als Junge vor dem Fahrradfahren nicht jedesmal mein T-Shirt hinten in die Hose gestopft hätte, wäre ich blitzschnell an Nierenversagen gestorben. Hat mir meine Mutter versichert. Oben ohne aufs Velo war aber okay. Muss man nicht verstehen.
(Tagblatt der Stadt Zürich, 27.03.2024)