Heute Abend folgt also wieder einmal die ich-weiss-gar-nicht-wievielte Auflage des «Spiels der letzten Chance». Meine Stimmung ist seltsamerweise nicht mehr ganz so euphorisch wie vor dem Frankreich-Match. Das war nicht einfach eine Niederlage, das war eine öffentliche Hinrichtung: Fünf Gegentreffer! Das einzig Gute, das man dem Resultat abgewinnen kann, ist, dass wir weltmeisterlich gespielt haben: Die Spanier haben gegen die Niederlande ja auch so viele Treffer kassiert. Was man aber in der Auslandspresse so alles über unsere Nati lesen musste, tat weh: «Shaqiri spielte wie Shakira», oder «eine Verteidigung im Wachkoma». Böse Worte. Was mich aber noch viel mehr aufregt, ist diese neumodische Tor-Widmerei. Bei jedem Interview: «Ich widme dieses Tor meinem (wahlweise: Schatz / verstorbenen Grosi / Goldhamster)». Jungs, hört auf damit! Tore widmet man nicht, Tore schiesst man. Möglichst viele. Und hört auch auf mit der neuen Zärtlichkeit beim Jubeln! Was soll der Blödsinn, nach einem Treffer mit den Händen ein Herzchen zu formen? Jetzt, wo der spornosexuelle Mann ausgerufen worden ist. Wo sind die Kerle, die nach dem Torschuss martialische Posen einnehmen, die Eckfahne zwischen die Beine nehmen, sich das Trikot vom Oberkörper reissen und den testosterongefluteten Body zur Schau stellen? Verschwunden? Ist Herzchen formen das neue Ding, oder habe ich einfach eine Überdosis Fussball?
Kolumne im Tagblatt der Stadt Zürich vom 25. Juni 2014