Kurt’s Nachrichten

Die Menschheit ist mit allem irgendwie klargekommen: BSE, LSD, sogar SRG. Eine der schlimmsten Seuchen wird in der Bevölkerung aber weitgehend verharmlost: SMS. Die Erfindung an sich ist ja schon bescheuert: Weil die Leute es satt hatten, Briefe zu schreiben, die tagelang unterwegs sind, wurde das Telefon erdacht. Hundert Jahre später wird das Telefon mobil. Der nächste logische Meilenstein wäre das Telepathie-Implantat. Falsch. Wir schicken uns SMS, an denen wir länger rumtippen als T.C. Boyle an einem neuen Roman. Nur schon das Verfassen eines Textes auf so einem Mäuseklavier ist eine Zumutung. Und trotzdem machen sie süchtig. Jugendlichen geben sie die Illusion, sie könnten lesen. Jeder achte Single würde heute noch in einer unglücklichen Beziehung stecken, hätter er nicht per SMS Schluss machen können.

Und wehe, man antwortet nicht nullkommaplötzlich. Als ob der SMS-Sender ein verbrieftes Recht auf sofortige Antwort hätte. Wenn ich nicht innert Minuten zurücktippe, kommen schlaue Fragen, so wie «bist du bei der Queen zum Tee, dass ich keine Antwort erhalte?» oder «Bist du bewusstlos? Soll ich Polizei, Ambulanz, Chemie- und Gewässerschutz aufbieten?» Gelobt seien die Zeiten, als man eine SMS noch wie eine Postkarte behandelte: Man freute sich, oder nahm sie mindestens zur Kenntnis – «aha, nett» – und hat sie geistig ad acta gelegt. Funktioniert heute nicht mehr so. Strafverschärfend kann so eine Kurznachricht auch noch schweizerdeutsch verfasst sein. Mein Quoten-Walliser oder der -Basler (jeder hat mindestens einen davon im Bekanntenkreis) schreiben konsequent Mundart. Jepp, ist jedes Mal eine Herausforderung.

Ganz selten, wenn ich seltsam drauf bin, spiele ich im Tram in der Jackentasche den SMS-erhalten-Ton ab und ergötze mich, wie die Leute ihre Smartphones checken. Ja, ich weiss, ich bin ein Monster.

Kolumne im Tagblatt der Stadt Zürich vom 1. Oktober 2014

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