Es wird Herbst und schon sind wieder alle mies drauf. See- und Flussbäder sind verwaist, Cafés geben die Strasse frei und Drogisten füllen ihre Antidepressiva-Bestände auf. Tschüss Sonnenbrand, hallo Gefrierbrand. Dabei hat der Herbst durchaus gewinnende Seiten: Modische Verwerflichkeiten wie Sideboob-Tanktops verschwinden wieder unter Pullis und Jacken und Crocs, diese Eishockey-Goaliemasken für bare Füsse verschwinden wieder im Schrank, wo sie bitte verrotten mögen. Die Sprecherin eines Zürcher Erwachsenen-Rundfunksenders hat in formvollendeter Sprachschönheit die nasskalte Witterung zum «Kuschelwetter» erhoben. Genau so will ich das hören. A propos Radio: In einem früheren Leben war ich Ansager beim Hörfunk und just vergangene Woche fand ein Treffen der Ehemaligen statt. Solche Zusammenkünfte bieten nebst fröhlichem Erinnerungsauffrischen immer willkommene Gelegenheit, den Verwelkungsprozess vormaliger Kollegen zu konstatieren.
Ich war eingestellt auf wachsende Schmerbäuche, tiefe Sorgenfalten und peinliche Frisuren, die kahle Stellen schlecht kaschieren. Aber da war nichts dergleichen. Ich war höchst positiv (positivst?) überrascht. Alle haben sich hervorragend gehalten; einige sahen sogar frischer und besser aus, als zehn Jahre zuvor. Ein grossartiger Abend. Auch modische Verfehlungen hat sich niemand geleistet. Nicht mal Sideboobs oder Crocs.
Kolumne im Tagblatt der Stadt Zürich vom 18. September 2013