Gut gebrüllt

Okay ich bin also altersweitsichtig, oder wie man neu sagt: Übersichtig. Als ob ich wegen der Unschärfe in der Nähe mehr Übersicht hätte. Ich hab schon das mit Kurz- und Weitsichtig nie begriffen. Wieso sollte ich Weitsichtig sein, wenn ich unkurzsichtig bin? Lassen wir die Wortklaubereien. Ich lebe also mit Lesebrille. Wenn man neu von einer Fremdlinse abhängig ist, lernt man Verschiedenes, was nicht im Beipackzettel steht: Zum Beispiel, dass man der coolen Sonnenbrille Tschüss sagen kann, denn wer trägt schon zwei Brillen mit sich rum? Goodbye du sauteures Oliver-Peoples-Stück mit deinen Serengeti-Gläsern. Fang Staub neben den Ray Bans und den Skibrillen in der Schublade. Hallo Blindfisch, wenn du mit der Lesebrille auf der Nase die dampfende Tasse zum Mund führst. Wenn du dann das Milchglas mit einem Kleidungsstück aus Kunstfaser reinigen willst, bleiben Schlieren. Da lernt man Kleidung aus Naturfaser wieder schätzen. Bei Regen den Fahrplan lesen? Psychedelische Bilder. Oder dass man nicht mehr mit seitlich aufgestütztem Kopf lesen kann, weil man sich den Bügel in die Schläfen drückt? Nervt fast so, wie wenn jemand deine Brille aufsetzt und danach findet: «Wie kannst du damit bloss sehen?»

Kolumne im Tagblatt der Stadt Zürich vom 2. März 2016

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