Weil ich mich nicht ohne gutes Buch in die Sonne legen wollte, habe ich neulich auf Bildungsbürger gemacht und meine Quartier-Pestalozzi-Bibliothek (Vulgo: «Bibi») aufgesucht. Immerhin lockt die aktuelle Sachbuch-Bestseller-Liste mit epochalen Werken wie «Webers Grillbibel» oder «Darm mit Charme». Letzteres hört sich an, wie ein Loblied auf die Köstlichkeiten einheimischer Wurstfabrikation, ist es aber nicht. Auch kein Leitfaden, wie man der Holden den Verkehr a tergo auf sympathische Art näherbringen kann, sondern ein populärmedizinisches Werk über das Verdauungssystem.
Wiedemauchsei, ich stöbere durch das Neuheitengestell, wo sich neben mir eine Tigermama mit ihrem Wunderkind festgepflanzt hatte. Der Knirps war höchstens vier Jahre alt und offenbar schon des Lesens mächtig. Noch etwas unsicher, weil vielleicht zum ersten Mal in der Bibi, schaute er sich um. Ich setzte mein wohlwollendstes Gesicht auf, weil der erste Besuch eines Büchertempels nicht von einem griesgrämigen Kerl geprägt sein soll. Da spitzt die Kleine Daumen und Zeigefinger wie zum Okay-Zeichen, setzte die Finger auf den klein beschriebenen Rücken eines Buches und machte diese Spreizgeste wie beim iPad, wenn man etwas vergrössern will. Willkommen im 21. Jahrhundert! Ich hab erst drei Gestelle weiter losgelacht.
Kolumne im Tagblatt der Stadt Zürich vom 13. Mai 2015