Im Moment nerve ich meine Freunde und Bekannten mit der Behauptung, das ganze Brimborium um Wein gäbe es nicht, wenn das Zeug nicht betrunken machen würde. Weinliteratur füllt ganze Bibliotheken, es gibt Weinclubs, in die ist es schwerer reinzukommen, als in das NASA-Astronautenprogramm. Jedes Kaff mit einem Rebberg hat ein Weinfest, all die Weinschiffe, -Reisen, -Verkostungen. Als ob Weinkonsumenten einen Grund bräuchten, sich zu betrinken, pardon – den Rebensaft zu kosten. Sogar in der Kirche wird gebechert. Blut Christi? Proooost! Neben der Fähigkeit Wein in Wasser zu verwandeln, haben Weintrinker sogar eine eigene Sprache: «Schöne Nase, üppiger und doch eleganter Körper, charmanter Abgang.» Tönt nach einem One-Night-Stand, ist aber eine Weinbeurteilung. Kenner bedienen sich einer bisweilen grotesk-snobistisch anmutenden Wortakrobatik, die hauptsächlich andere Weinkenner zu beeindrucken vermag. Ein Einfaches: «mir schmeckt der Wein» reicht denen nicht. Ein Vertreter dieser Gärmost-Klugscheisser beschreibt einen überteuerten Bordeaux so:
«In der Manier wandelnder Zartheit, im Gewand purer Eleganz, gravitätisch gravitationslos und mit kristalliner Brillanz gleitet dieser dominant dunkelbeerige Seidentraum mit der Frische morgendlicher Kühle reibungslos, in einem Tanninkorsett von atemberaubendem Zuschnitt, in nobler Haltung, schörkellos und im Bewusstsein der eigenen Nobilität über die Zunge und zeigt eine Gaumenkür von eklatantem Aplomb, formidabler Länge und animierender Frische.»1
‘The fuck hab ich da grade gelesen?!?? Da fragt man sich ernsthaft, was der sonst noch so geschluckt hat. Der hat definitiv zu viel gehabt. Kinder – Finger weg von dem Zeug!

Noch ein Beispiel? Ein Weinbeschwörer ortet eine geschmackliche Ledernote in so einer Plörre und beschreibt den Geschmack «… wie ein scharf gerittener Damensattel»2. Schön, wenn man seinen Fetisch mit dem Schreibauftrag verbinden kann.
Weingeist ist zwar immer noch besser als gar kein Verstand, trotzdem bin ich nicht beeindruckt, wenn jemand eine «gute Flasche» im Restaurant ordert: 700 Franken für eine Pulle «Schlafite»? Gönnt man sich. Da sitz ich nun vor meinem Glas und kanns nicht so richtig geniessen. Bei jedem Schlückchen denke ich «wieder eine Zehnernote». Nachdem ich den Gegenwert eines Wochenendeinkaufs für eine ganze Familie verköstigt habe, fühle ich mich nicht bereichert. Höchstens leicht angesäuselt. Ich bleibe dabei: Das Zeug ist nur so populär, weil es betrunken macht. Noch ein Indiz? Wir trinken fast doppelt so viel Milch. Wo sind da die Milch-Ratgeber, die Milch-Sommeliers, Milchschiffe, Milchverkostungen? Hm? Okay, Milch ist nicht so haltbar wie Wein. Da stellt man kein besonders feines Tetra Pak für einen runden Geburtstag zur Seite. Trotzdem würde ich gerne einem Mitglied der Confrérie des Chevaliers du Tastelait zuschauen beim katzenzüngelnden Schlabbern der Milch aus der flachen Tasse, gefolgt vom Gegurgel und dem obligaten Zungenschnalzen. Was für Wortschöpfungen würden uns diese Menschen um die Ohren hauen? Schwer-eutrig? Heublumig? Schlankzitzig? Schmandperlig? Wir werden es nie erfahren. Warum? Weil das Zeug nicht … Sie wissen schon.

Eigentlich gehört Alkohol zu den harten Drogen. In seiner Darreichungsform als Wein kann er aber der Gesundheit sogar zuträglich sein: Ein Glas Wein am Tag, sagen Ärzte, sei eine gute Medizin. Nicht mehr lange und die Weinlobby verkauft uns das Zeug als Schluckimpfung. Da kann Kuhmilch nicht mithalten. Ich sage nur: Laktose-Intoleranz. Milch hat dafür andere Qualitäten: Sie hören nie jemanden Jammern, nach drei oder vier Gläsern Milch habe es sich wie eine gute Idee angefühlt, die verflossene Beziehung anzurufen, dass man sich wiedersehen solle oder so. Man kann sich mit Milch auch keinen Menschen schön saufen. Milch hilft nicht, mit unattraktiven Menschen Sex zu haben. Wein schon. Warum das so ist? … Eben.
(Tagblatt der Stadt Zürich 2.2.22)
2 https://www.spiegel.de/panorama/im-rausch-der-enzyme-a-853ed28d-0002-0001-0000-000042903259
Nachtrag
Ich wurde auf Social Media gefragt, ob ich denn Wein oder Weintrinker oder gar beide nicht möge. Mitnichten. Ich mag das Getränk und die meisten seiner Trinker. Auf das Thema bin ich gekommen, weil ich mit einem Freund in einem Lokal zu Abend ass, wir ein superspannendes Thema diskutierten und sich plötzlich der «Maître de» an unserem Tisch materialisierte. Wir unterbrachen unser Gespräch und der Kellner zeigte mir die Flasche unseres bestellten Weins und zwar auf eine Art, als wäre es sein Erstgeborenes.
Ich war leicht peinlich berührt ob des Schauspiels, habe ihm bestätigt, dass das dem Etikett nach die bestellte Weinflasche ist. Er öffnet die Flasche kunstfertig, während wir schweigend zuschauten. Dann roch er am eben amputierten Kork, nickte und stellte seine Augenbrauen auf Fragezeichen, während er mir auf einem Tüchlein den Kork hinhielt, falls ich auch einen Lungenzug nehmen wollte. Ich winke ab, er interpretierte das wohl als Vertrauensbeweis und schenkt milde lächelnd eine homöopathische Menge in ein Glas ein. Der Weinverkostungsmoment war da. Zwei Augenpaare richten sich auf mich, ich probierte also einen Schluck, der wie das schmeckte, was ich bestellt hatte, nämlich Wein. Das habe ich dem Kellner mit meinem hochgestreckten Imperatordaumen bestätigt. Die Gesichtszüge des Service-Fachmanns entspannten sich, er setzte ein Verwöhn-Lächeln auf und schenkte dann die beiden Gläser ein. Nachdem er sie uns hingestellt und Wohlsein gewünscht hat, entfernte er sich diskret.
Da habe ich mir überlegt, wieso zwei erwachsene Männer ihr Gespräch einstellen müssen, weil einfach ein Getränk serviert wird. Bei Bier, Milch, Saft, Kaffee oder Mineralwasser passiert das nicht. Dann hat mich die Schreiblust gepackt.
DEINE Weinbeschreibungen fände ich spannend!
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Wie immer brillant geschrieben Messi! Und der Kernsatz… ist sicher auch nicht ganz verkehrt.
Was du aber vergessen hast zu schreiben ist, dass Wein, oder alkoholische Getränke ganz allgemein, wenn sie denn heute erst erfunden würden, sicher sofort verboten würden! Eine Fülle von Studien würden wie Pilze aus dem Boden schiessen und prophezeien, dass man davon abhängig werden könnte, es Probleme in den Familien und beim Autofahren geben könnte und sogar ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden durch Arbeitsausfälle entstehen könnte! Wenn dann noch jemand die These aufstellen würde, dass das Zeug zu steigenden Krankenkassenprämien führen könnte, wäre die Sache vom Tisch 😉
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